The Fabelmans - John Williams
"Sie muss einen berühren".
Der Literat und Jurist Ferdinand von Schirach auf die (in etwa) gestellte Frage, was wesentlich bei der Rezeption von Literatur (Kunst im Allgemeinen) sei.
Ich musste an eben dieses Zitat denken, als ich die Filmmusik von John Williams zu Steven Spielbergs neuestem Film hörte.
Wenn ich John Williams höre, ist es, als würde ich meinen Lieblings-Wein trinken, an einer bestimmten Stelle am Meer stehen und den Blick sehnsuchtsvoll in die Weite schweifen lassen, einen guten alten Freund umarmen, meine Leibspeise zu mir nehmen. Es ist vertraut und doch immer wieder eine neue, geliebte Erfahrung.
Die Kompositionen von John Williams berühren mich, immer wieder. Er verfügt über ein Talent, eine Fähigkeit, die nur wenigen Menschen gegeben ist: Über Länder und Kontinente hinweg Menschen auf der ganzen Welt, ungeachtet ihrer Ethnie und kulturellen Wurzeln, zu berühren. Das legt den Schluss nahe, dass irgendetwas universelles in seiner Musik liegt.
Ich lege seine CDs ein, seine Platten auf und bereits nach wenigen Takten ist die Welt um mich vergessen und ich befinde mich in einem anderen Universum, in einer anderen Welt. Auch das ist stets ein (für mich sehr) gewichtiges Element der Filmmusiken von John Williams: Ihre transzendentale Qualität. Seine Komposition vermögen das Jetzt zu überwinden.
90. 50. 31.
Ich bin dankbar, dass John Williams mit seinen 90 Jahren unter uns weilt und uns, wie auch in diesem Fall, weiterhin mit seiner Musik beschenkt. Mit Clint Eastwood ist er der letzte einer Reihe von Titanen in der Welt des Kinos und der Musik. Unglaublich, dass er immer noch über diese Energie verfügt, selber komponiert und dirigiert!
Es ist das 50-jährige Jubiläum der Zusammenarbeit von Steven Spielberg und John Williams, die vielleicht längste künstlerische und freundschaftliche Verbundenheit in diesem Metier und eine absolute Ausnahmeerscheinung. Ohne die Musiken von John Williams hätten die Filme eines Steven Spielberg nicht den Effekt, nicht die Wirkung, die sie erzielten. Spielberg hat es oft genug betont.
In ihrer 31. (!) Zusammenarbeit präsentiert uns Williams seine Komposition zu dem autobiografischen Film The Fabelmans, der in Teilen das Leben von Spielberg selbst nachzeichnet.
Der score ist mit knapp über 30 Minuten vergleichsweise kurz und im Vergleich zu den ausufernden Zeiten zeitgenössischer Veröffentlichungen eine Wohltat.
Die Musik ist zärtlich. Sie ist ruhig, friedlich, impressionistisch, reflexiv, Verhalten in ihrem Ausdruck. Williams intoniert das Thema auf dem Klavier und setzt sehr sparsam ein kleines Orchester ein. Die einzelnen Stücke haben deskriptiven Charakter, sie sind sehr feinfühlig und reserviert. Wegen einzelner Episoden im Film streut Williams klassische Stücke von Kuhlau, Clementi und Haydn ein. Am Ende werden in The Journey Begins alle musikalischen Ideen nochmals zusammengefasst.
Ein Genuss.
Ein Privileg.
Er hat nicht nur Steven Spielberg, sondern auch mich (und Millionen anderer Menschen) mittlerweile über vier Jahrzehnte in meinem Leben begleitet. In allen Lebensphasen waren seine Musiken präsent. Sie waren Trost, sie waren der wiederholte Anlass für Eskapismus und sie waren und sind Beleg dafür, dass es schönes auf der Welt gibt. Seine Kompositionen zeigen, wie auch die vergangener Künstler, wozu Menschen fähig sind: Die Realität mit Tönen auf eine Weise zu interpretieren, bei der die Sprache an ihre Grenzen gelangt.
John Williams ist in der Lage, wie kaum ein anderer Musiker, meine Gefühle, Sehnsüchte und Träume abseits der Sprache mit Tönen Ausdruck zu verleihen.
Es ist nicht richtig, weder inhaltlich noch moralisch, unter Künstlern eine Wertung, eine Abstufung vorzunehmen, aber im Falle von John Williams kann ich nicht anders:
GOAT.
Rick Deckard