Coolhaze Studio Braun – Deutsches SchauSpielHaus Hamburg 31.12.2021
Silvester 2021 Hamburg. Schietwetter. Halb vier, ich stehe vor dem SchauSpielHaus, St. Georg. Zwischen Theatergästen, die nach Ihren Impf- und Testzertifikaten suchen, herannahenden Taxis und flatternden Regenschirmen entdecke ich das Logo des Ohnsorg-Theater leicht verzerrt und gespiegelt auf dem nassen Vorplatz des legendären Bieberhaus.
Ich denke kurz an meine Eltern, die in den achtziger Jahren, Silvester häufig ins Neue Theater in Hannover gegangen sind und nach der Vorstellung schick essen waren. Sie haben sich an dem speziellen Tag häufig Boulevard angesehen. Ein Begriff, der von wenigen richtig verstanden wird, von vielen im Zusammenhang Theater gar nicht mehr und von einigen auch fundamental falsch.
Das Boulevard-Theater ist dem Fernsehen zum Opfer gefallen, sagen Experten. Die leichten Komödien- und Kriminalstücke, mussten nicht weiter aufwändig aufgeführt werden. Sie konnten schnell für ein großes Publikum für das Fernsehen produziert werden. Oder auf den guten Bühnen Dresden, Düsseldorf, Köln oder eben Hamburg, wurde direkt abgefilmt und das Stück Live im Fernsehen übertragen. Die Aufführungen im Ohnsorg-Theater oder im Kölner Millowitsch-Theater waren Folklore, haben aber eben auch sensationelle Figuren und Schauspieler hervorgebracht: Heidi Kabel, Uwe Friedrichsen, Harald Juhnke, Günter Pfitzmann, Brigitte Mira, Willy Millowitsch, Peter Weck etc.
Mir fällt ein Theaterbesuch in Köln vor einigen Jahren ein, der ein Distinktionsgewinn für mich war, ebenso wie es auch der Film als Theateraufführung „Coolhaze“ von Studio Braun ist.
Und bevor Kritiken und eigene Meinungen, die brachiale und unglaublich lustige Produktion der drei Hamburger Legenden zerstören: …finde ich den Gedanken, Boulevard-Theater vs. Hochkultur und die Inszenierung gegen alle „Coolhaze“, verbunden mit der schönen Idee, wir alle gegen den „Elitarismus“ in Kunsteinrichtungen weiterhin sehr spannend.
Distinktionsgewinn Boulevardtheater - www.lomax-deckard.de
"99 Prozent der Künstler haben sich dazu verführen lassen, ein System zu akzeptieren, das auf einer künstlichen Verknappung, sowie einer Propaganda basiert, die das individuelle Genie im Dienst des
http://www.lomax-deckard.de/article-distinktionsgewinn-boulevardtheater-87076036.html
Wenn man so will, wagen sich Jacques Palminger, Heinz Strunk und Rocko Schamoni nun tatsächlich in eine Art Verbündung gegen das Elitedenken des Kulturbetriebs. Undenkbar vor 40 Jahren, dass sich Leute wie Schamoni, Kamerun oder Meyer hin zu einer Bühne im Schauspielhaus wagten. Klar, da spielte die Idee Punk, Anarchie und erstmal alle gegen alles und jeden eine wesentliche Rolle. Da haben viele, vieles, richtig, gemacht und auch gedacht in Sachen Popkultur.
In Städten mit Häfen haben, die Menschen noch Hoffnungen. Denn von allen Gedanken Schätze ich doch am meisten die interessanten. Wie die Starken, die Schwachen, Die Müden, die Wachen, Die Jungen, die Alten, Umarmen, umarmen, Wie der Vater den Sohn, Bruder die Schwester, Aufregung, als wäre es Silvester.
Unsere drei Protagonisten, haben sich in unterschiedlichen Genres ausprobiert. Alleine die vielen künstlerischen Diversifikationen eines Jacques Palminger aufzurufen, würde diesen kurzen Artikel sprengen. Obwohl der Schauspieler und Musiker, vielleicht ehr wie ein Avantgarde-Künstler wirkt, hat er sich neben dem Experiment, nie gegen den Erfolg ausgesprochen oder sich auch nur einmal arrogant zu anderen geäußert.
King Rocko Schamoni, dessen Karriereanfang in der Musik lag, hat sich später und auch schon immer mit dem Thema „Scheiße“ beschäftigt. Und nicht nur als Abbild, sondern auch zur Freude aller Menschen eine Schmuckkollektion mit dem gleichnamigen Brand veröffentlicht.
Heinz Strunk künstlerische Basis ist auch die Musik, aber ehr verbunden mit einem klassischen Ansatz, als ewiges Talent in
einer Tanzband. Alle drei haben satirische Wurzeln und den Schmerz mit Löffeln gegessen und sich eben auch sehr früh selbst nicht so ganz ernst genommen. Ein Kollektiv, welches in der deutschen Kulturgeschichte einzigartig ist, auch, weil bei allen Aktivitäten, niemals die Peinlichkeit des Mainstreams im Wege stand. Die Frage einer gemeinsamen Deutschlandtour als Studio Braun, stellte sich gar nicht und wurde mit der Idee FRAKTUS genial torpediert, erfolgreich erzählt und konsequent vermarktet. Alle drei Entertainer des Schmerzes, haben neben ihren darstellerischen Aktivitäten, auch Erfolge als Autoren und Regisseure.
Nun also „Coolhaze“! Eine Revue als Verbrüderung von Hochkultur und Trash, inkl. dem verschwommenen Subtitel: Wo fängt ein elitärer Gedanke eigentlich an, wer stellt sich den und warum, wenn doch alles so lustig sein kann?
Kleist gilt bei Germanisten und Intellektuellen sicher als uneinnehmbar. Aber sein Hauptwerk kann durchaus auch als Boulevardesk beschrieben werden: „Das Käthchen von Heilbronn“ und sein Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ ist folkloristische Unterhaltung gewesen. Und auch seine Novelle über Michael Kohlhaas ist in Wirklichkeit weniger erhaben als angenommen, sondern an weiten Stellen, vergleichbar mit einer modernen Folklore eines Ferdinand von Schirachs.
In der alten Kunst wird so häufig von Vollkommenheit gesprochen. Was eigentlich unnötig war, da auch die Literatur zu der Zeit, ein Spiegel der Gesellschaft gewesen ist und auf vorliegenden Werken aufgebaut wurde.
Und das ist die eigentlich tolle Idee von Studio Braun: Charles Bronson als Leuchtturm des wunderbaren amerikanischen reaktionären Actionkinos (ca. 1970 – 1985) heranzuziehen, ihn zu spiegeln und multivariat als erklärende Schachfigur für Geschichte, Sinn, Wissen und Erklärung einzusetzen.
„Wir machen keine Filme für die Kritiker, denn die bezahlen keinen Eintritt“, Charles Bronson
Die drei schönsten Augenblicke bei Coolhaze sind dann auch die Momente der Selbstverwirklichung von Strunk (direkt am Anfang mit einem ausufernden jazzigen Querflöten-Solo), von Schamoni (seine eigentlich beste Rolle als Crooner inkl. Gesang und Tanzdarbietung) und Palminger als die Raupe und der Schmetterling, welche tatsächlich zwischen Ekel, Mitleid und einem unfassbaren wahrhaftigen Theater-Augenblick angelegt ist. Unsere drei Helden, sehen sich also durchaus selbstironisch als unterschätzt an. In einem weit definierten Rollenfach mit Würde und weiterem Hang zur Satire, wie diese selbst, einem Charles Bronson nicht in seinen Selbstjustiz-Thrillern und New York Filmen nicht angeboten wurde. Und ja es stimmt, hier wackelt mein Turm aus Boulevard – Distinktion – Elitarismus – Satire – Sympathie – Studio Braun und der fehlenden Erwähnung von Manfred Krug ein erstes Mal, wie ein Jengaturm, bei einem nicht stattgefundenen Spieleabend an Silvester? Es wäre ja aber auch zu einfach, das Phänomen von Studio Braun ergründen zu können.
International Pony - My Mouth/Beautiful Day | bpb
Sorgsam konstruierte Schwarz-Weiß- Bilder und grobkörnige Straßeninterviews: In „My Mouth/Beautiful Day" finden verschiedene filmische Ästhetiken von Dokumentar- und Fictionfilm zusammen. Kei...
https://www.bpb.de/mediathek/609/international-pony-my-mouth-beautiful-day
Wie sagte die Reporterin (Angie Reed) damals in dem kleinen Film über den Auftritt von International Pony im Hamburger Schauspielhaus (zu sehen auf der CD/DVD Bass Is Boss 2010) während die letzten wunderbaren Harmonieklänge des Songs My Mouth/Beautiful Day klingen:
„…and in this moment I know, I will meet them, one day I will meet The International Pony“ …gilt für mich auch für Studio Braun.
Übrigens ist hier ein wundervolles zwei Stündiges Theater zu sehen, welches rasant, fett produziert und bis zum Anschlag vom gesamten Cast, aber unbedingt auch zu erwähnen, insbesondere von Charlie Hübner, fast bedächtig und doch berückend gespielt wurde. Vielleicht ist es ein wichtiges Stück Popkultur zur richtigen Zeit.
Drehort Sankt Georg, ist dieser Artikel als Hommage für Sebastian Schultz und Till Franzen gewidmet!
Alan Lomax
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15.01.2022 17:00 Uhr / Junges SchauSpielHaus - Große Bühne Wiesendamm