Wind River - Teil III der American-Frontier-Trilogie - Taylor Sheridan
Ein Gütesiegel für einen Film ist sein Vermögen, nach der Betrachtung einem mehrere Tage nicht mehr aus dem Sinn zu gehen. So ist es mir bei WIND RIVER ergangen, dem Abschluss der American-Frontier-Trilogie von Drehbuchautor und Regisseur Taylor Sheridan.
Nach SICARIO und HELL OR HIGH WATER ist dies der dritte Teil der filmischen Auseinandersetzung des in Texas geborenen US-Amerikaners mit den Grenzgebieten der Vereinigten Staaten von Amerika und erst nach dem Ende von WIND RIVER erschliesst sich - nach einigen Überlegungen - die Motivation von Sheridan.
Der von Jeremy Renner gespielte Wildhüter Cory Lambert entdeckt im Indianerreservat die barfüßige Leiche einer jungen Native American im Schnee. Um die Ursache zu klären entsendet das FBI eine junge Ermittlern, gespielt von Elizabeth Olsen. Als Rookie ist sie in dem unwirtlichen Gebiet auf die Hilfe des Wildhüters angewiesen, der aus anderweitiger Motivation beschliesst, ihr zu helfen.
Von allen drei Filmen unter der Mitwirkung Sheridans, hier als Regisseur, ist WIND RIVER der trostloseste und bedrückendste. Das liegt an der Handlung, aber auch und vor allem, je weiter der Film voranschreitet, viel mehr an den Missständen, die der Regisseur und Drehbuchautor in Personalunion anprangert und sie sind es auch, die einen nachdenken lassen, lange, nachdem der Abspann gelaufen ist.
WIND RIVER erzielt seine Wirksamkeit durch seine Vielschichtigkeit und das ineinandergreifen der verschiedenen Erzählebenen. Zuvorderst ist da die Suche nach dem Täter in einer kalten, unwirtlichen und menschenfeindlichen Landschaft, konsequent mit Elementen des Kriminalfilms und Thrillers erzählt. In einer zweiten Ebene führt Sheridan menschliche Schicksale ein. Beide Ebenen werden zusammengehalten durch das Aufeinanderprallen zweier Welten, symbolisiert durch die junge FBI-Agentin und dem Wildhüter. Nachhaltige Wirkung erzielt Sheridan, indem er unaufgeregt, dafür aber umso wuchtiger das Schicksal der Native Americans thematisiert und das nicht mit dem moralisch "erhobenen Zeigefinger", sondern einer eher nüchternen und gerade deswegen so bedrückenden Betrachtungsweise.
Das ist auch aus persönlicher, filmhistorischer Sicht interessant, da Sheridan unübersehbar seine Liebe zum Western-Genre thematisiert und dadurch zur kritischen Reflexion der eigenen Sicht auf dieses Genre anregt. Ich will ehrlich sein: Als Jugendlicher blieb einem gar keine andere Wahl, als eine äußerst naiv-einseitige Sicht auf die Ureinwohner des Nordamerikanischen Kontinents zu haben, die in so vielen Filmen als "Indianer" nicht mehr als Kanonenfutter für den Archetypus eines jeden Western-Helden waren und "Wilde", die es zu "zähmen" oder gleich "auszuradieren" galt.
Einige Filme eines John Ford erscheinen dann plötzlich in einem ganz anderen Licht, abgesehen von seiner "Wiedergutmachung" CHEYENNE AUTUMN. Der brillante und kluge Regisseur Robert Aldrich (dessen sensationeller VERA CRUZ für mich nicht nur einer der besten Western, sondern Filme aller Zeiten ist), war einer der ersten, der sich mit MASSAI (mit Burt Lancaster in der Hauptrolle) dieser Thematik annahm. Kevin Costner schuf mit DANCES WITH WOLVES vielleicht den ersten, Ernst zu nehmenden Beitrag über die Native Americans in filmischer Hinsicht.
Von all diesen Entwürfen ist Sheridan in WIND RIVER weit entfernt. Er beschränkt sich auf das Zeigen, er beobachtet und resümiert in aller Stille. Gerade, weil er den Zuschauer mit diesen bitteren Erkenntnissen entlässt, zwischen den Zeilen vehemente Kritik ausübt und die Verhältnisse aus der Meta-Ebene beobachtet, erzielt er auf relativ unspektakuläre Weise grösstmögliche Wirkung.
Ein grossartiger Film, der zum Nachdenken anregt. Ein exzellent inszenierter Western in den von Schnee bedeckten Bergen Wyomings und als bitteres Mahnmal an das Schicksal der Menschen erinnernd, die einst diesen Kontinent bewohnten.
Alle drei Filme haben den Einzug in die persönliche Bestenliste geschafft, als Gesamtwerk. Denis Villeneuves grandios inszenierter Western-Thriller SICARIO geniesst dabei durch seine Machart, Fotografie, Spannung, Schnitt und seine enge Verwandtschaft mit dem Western eine Ausnahmestellung. Was für ein Film!!! Das Triumvirat aus Josh Brolin, Emily Blunt und dem Robert Mitchum der Neuzeit Benicio Del Toro sorgt für ein Erlebnis der Extraklasse.
Nicht minder beeindruckend HELL OR HIGH WATER mit dem Vorzeige-Schauspieler Jeff Bridges. Kamera, Rhythmus, Landschaft, alles harmoniert mit der Handlung.
Von der sengenden Hitze der US-Amerikanischen Grenze zu Mexico, über Texas in die bitterkalten Weiten Wyomings. Taylor Sheridan liefert mit seiner Trilogie Beispiele für unterhaltsames, begeisterndes und nachdenkliches Kino, in dem für Nostalgie keine Zeit mehr ist. Nur so kann die Weiterentwicklung des Kinos und seiner Genres gelingen.
Rick Deckard