Kulturabstimmung 2020 John Ross Ewing - TopList
Auf diesem Blog lesen Sie seit 2008 über unsere kulturellen Erlebnisse und wie wir diese subjektiv Wahrnehmen. Dabei gehen wir immer wieder durch das lodernde Feuer und sind zu himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Die Idee zu diesem Unterfangen hatte damals unser gemeinsamer Mentor Martin Scorsese. Der auch heute noch davon spricht, dass die Kunst an vielen verschiedenen Orten und in ebenso vielen Formen zu finden ist. Und dabei ist dieser Blog nur ein Nebenformort unserer anderen Aktivitäten, die zum Beispiel im Radio (674FM) stattfinden oder in den Filmmusikforen dieser Welt. Jedes Jahr wieder stellen wir uns die Frage nach einem Poll = Umfrage der besten, liebsten, coolsten, furiosesten neuen und alten Kulturaufläufe des Jahres. Nach tagelangem Überlegungen zu dem Song Sometimes Yes, Sometimes No unserer liebsten christlichen Popsängerin Jill Paquette, haben wir uns zu einem YES entschieden, weil wir die Paquette echt nicht mehr ertragen konnten. Fragen beantworten wir immer gerne unter: oliver.joerns@674.fm
Heute lesen Sie die TopListe unseres Freundes und sozusagen dem www in www.lomax-deckard.de; JOHNROSSEWING. Wir freuen uns sehr über den Input, seine Leidenschaft und seine Beiträge...
Ewings definitive Top 5 des Jahres 2020
Es ist immer schwierig, das Jahr in Worte zu fassen, aber irgendwie geht es dann doch - für diesen Blog und für die Leidenschaft, versehen mit einem Zitat der wunderbaren Journalistin, Kritikerin, Schriftstellerin Susan Sontag:
„Schreiben ist eine Umarmung, ein Umarmtwerden, jeder Gedanke ist ein Gedanke, der die Hand ausstreckt.“
2020 war nun wohl das komplette Gegenteil von 2019. Ein kultureller Lockdown, der Niedergang der Begegnung und der ausgelassenen Freude. Was haben wir im Jahr zuvor noch alles erleben dürfen. Wir zehren davon und hadern dennoch mit dem so sehr fehlenden Gefühl eines Live Konzerts, eines Theater-Besuchs, eines Kino-Abend. Ein mentaler und körperlicher Entzug. Ein unfreiwilliger Rückzug, der einen lauern lässt.
Dafür war Zeit, Musik zu hören, darüber zu lesen, sich auseinanderzusetzen. Es gab mehr Musikabende. Mehr Platten (also im persönlichen Aufnahmekosmos). Mehr Bücher. Und wir durften den trotzig beharrlichen Editionen des Moers Jazz Festival und des Haldern Pop Festival beiwohnen – eine exklusive Freude, denn beides war so außerordentlich umarmend wie wichtig. Mit Tim Isfort und Jacques Palminger sprechen und Black Country, New Road kennenlernen zu dürfen war eine sehr große Freude.
Hope 2021! Gleichermaßen wie Zweifel. Hier meine sehr persönlichen Freuden, die ich gern teilen will:
ALBEN
THE STROKES - THE NEW ABNORMAL | RCA
ALBUM DES JAHRES und COVER ARTWORK DES JAHRES
Ich habe es in den Radiosendungen in diesem Jahr oft genug erzählt, oft genug gespielt, die Auferstehung einer Lieblingsband. Erstes Album nach sieben Jahren. Produced by Rick Rubin. Julian Casablancas setzt zunehmend seine Kopfstimme ein, und bleibt dabei einer der besten Crooner. Die 80s werden nur als Basis für einen Transfer in die Neuzeit benutzt. Television-Gitarren sind da und umzingeln die alten Syntheziser. Das ist die neue Identität der Strokes. Natürlich ist das New York, ebenso wie das Cover Artwork, das sie sich beim wichtigten schwarzen Künstler Jean-Michel Basquiat geliehen haben. „Bird on Money“ von 1981 ist als Druck und Plakat beigelegt. Das Album ist also ein musikalischer, optischer und sogar haptischer Genuß. Check it out.
Nur zu gerne hätte ich sie als Headliner in Barcelona gesehen. „Why are Sundays so depressing“ fragen sie und wenn man es mit Stephen Patrick Morrissey koppelt (aus Zeiten als er politisch noch nicht unkorrekt war) und „Everyday is like Sunday“ in voller Melancholie ergänzt wird das Jahr 2020 daraus.
Lange hat mich kein Album in dieser Art/ART geflasht. So klingt Popkultur 2020. Cool as fuck!
Oder: yeaaah – yeeeaaaaaahahah - yeaaah – yeeeaaaaaahahah
SAULT - UNTITLED (BLACK IS)| Forever Living Originals
We all know it was Murder!
Maßstäbe in besonderer musikalischer Art und vor allem in politischen Statements hat die Band Sault gesetzt. Innerhalb von anderthalb Jahren haben sie vier Alben aufgenommen. Eins nach dem anderen von den souligen Stimmen getragene Pop-Alben, die alle Stile mixen und klar sind in der Aussage. Sie sind zornig und bestimmt, geprägt von Widerstand und Protest. Gilles Peterson hat sie bekannt gemacht, aktuell ist das zweite Album in diesem Jahr rausgekommen und beide Alben sind wichtig und Musik zur Zeit im besten Sinne. Die Band hat ein einziges Statement veröffentlicht und ist persönlich unbekannt. Es gibt keinerlei Personenkult, keine Interviews, kein öffentliches Bild. das Statement lautet: „Wir präsentieren unser erstes Album Untitled“ um damit einen Moment zu markieren, in dem wir als schwarze Menschen und als Menschen schwarzer Herkunft um unsere Leben kämpfen. Ruhe in Frieden, George Floyd, und all jene die unter Polizeigewalt und systemischem Rassismus leiden. Es verändert sich etwas. Wir passen auf, Sault X.
Das ist Gegenwartskultur.
Gleiches gilt natürlich für das zweite Album in diesem Jahr:
SAULT - UNTITLED (RISE) | Forever Living Originals
BDRMM - BEDROOM | Sonic Cathedral Recordings
MICHAEL ROTHER - DREAMING | Grönland Records
HELICON - THIS CAN ONLY LEAD TO CHAOS | Fuzz Club Records
FONTAINES D.C. - A HERO’S DEATH | Partisan Records / Knitting Factory
BENJAMIN BIOLAY - GRAND PRIX | Polydor
NUBYA GARCIA - SOURCE | Concord/Universal
IDLES – ULTRA MONO | Partisan Records
“All is love”
ELVIS COSTELLO – HEY CLOCKFACE | Concord/Universal
EVERYTHING IS RECORDED – FRIDAY FOREVER | XL Recordings
BANANAGUN - | Full Time Hobby
DOUGLAS DARE - MILKTEETH | erased tapes
DIE STERNE – DIE STERNE | Play it again Sam
JARV IS… - BEYOND THE PALE | Rough Trade
LA RUE KETANOU - 2020 | LRK Productions
DER ENGLISCHE GARTEN – BEI TAG UND NACHT | Tapete Records
SHABAKA & THE ANCESTORS – WE ARE SENT HERE BY HISTORY | impulse! / UMG Recordings
SONGS
WILLIAM PATRICK CORGAN - COTILLIONS | Martha’s Music
„Two steps to twilight, searchlight to searchlight.
Two steps to twilight, we'll drive it all night. All night long.“
SAULT - WILDFIRES
BLACK COUNTRY, NEW ROAD – SUNGLASSES | Speedy Wunderground
“I am so fucking invincible in these sunglasses.”
THE STROKES – BAD DECISIONS | RCA
Bitte nicht weiter skandieren. Es ist erklärtes Diebesgut. Aber das ist Popkultur. Nehmen, lernen entwickeln, neu zusammensetzen. "Dancing With Myself" wird hier so überdeutlich zitiert, dass Billy Idol und Tony James auch in den Credits zum Song stehen. Arme hoch und herausschreien, allein zu Hause, es bleibt ja nichts.
THE STROKES – ETERNAL SUMMER | RCA
Häufig bin ich gefragt worden, warum genau das Stück mein erstes Lieblingslied der Platte war. Vermutlich weil es doch so Bowiesque anmutet.
BADLY DRAWN BOY – IS THIS A DREAM? | One last fruit
BDRMM – PUSH/PULL | Sonic Cathedral Recordings
PHOEBE BRIDGERS – I KNOW THE END | Dead Oceans/Columbia Records
Man höre das Finale dieses feinen Werks.
NEW ORDER – BE A REBEL | Mute
DIE STERNE – DU MUSST GAR NIX | Play it again Sam
FRANCESCA LOMBARDO - PARADISE | Echolette
IDLES – A HYMN | Partisan Records
“I wanna be loved – everybody does.”
MINI-ALBEN & EPs
BDRMM – | Sonic Cathedral Recordings
KHRUANGBIN FEAT. LEON BRIDGES – TEXAS | Dead Oceans/Columbia Records
SQUID – TOWN CENTRE | Speedy Wunderground
PETER BRODERICK & FRIENDS PLAY MORE ARTHIR RUSSELL | Not on Label, Peter Broderick Self Released
ZITAT
“Die falsche Note bleibt die Träne des Liedes”, so aufgeschrieben auf dem Cover des Albums ”Monarchie und Alltag (live)” von FEHLFARBEN.
DER EINZIGE KINO-BESUCH
JULIEN TEMPLE - SHANE
Schaut Euch diese Szene an, in der Nick Cave den guten Shane, der mit dem Rollstuhl auf die Bühne gebracht wird, Summer in Siam anstimmt und den liebevollsten Blick überhaupt von Nick Cave bekommt. Das sind Brüder, das ist Freundschaft.
KONZERTE
RIDE, Köln, Gloria
Die beste Band der Welt auf ihrem Zenit? Astonishing distortion chorus. Friends in excess! Auch wenn wir in diesem Jahr noch 100 weitere Konzerte gesehen hätten, wäre dieses auf dem Olymp.
THE NOTWIST, Moers Jazz Festival
Die Ausnahmekünstler. Wir haben die Exklusivität in dieser künstlerischen Atmosphäre genossen. Herr Applausmeister, bitte!
Die Sterne, Köln, Gebäude 9
Ein letztes Mal feiern. Du musst gar nix!!!
GEWALT, Moers Jazz Festival
Gewalt sind nicht für viele gemacht, sagen Gewalt. Das ist gut.
Wir sind sicher. In diesem Sinn
Black Country, New Road, Haldern Pop Festival (Kirche/Bar)
Nächstes Jahr kommt endlich das Album. Ein Festival der Bestimmtheit und Improvisation gleichermaßen.
THE GROWLERS, Köln, Live Music Hall
Eine sehr komplette Band. Auch eine Schunkelband (das waren noch Zeiten). Und eine Band, die endlich mal wieder selbst die Droge ist. Aber auch eine Band, die spaltet: Alex aus Haldern sagte mir danach, er sei unterwältigt. Ist hiermit in den Popkultur-Duden aufgenommen.
BALTHAZAR, Köln, Live Music Hall
So elegant wie energetisch, so Straße wie Pop-Appeal.
FUSSBALL-SONG
Allez Allez Allez
Mal wieder. In diesem Jahr zur ersten Meisterschaft nach 30 years of hurt für den Liverpool F.C und den wunderbaren Einzug in die Champions League der Borussia. In Mönchengladbach hat man nun einen eigenen Text.
GONE BUT NOT FORGOTTEN
Bernd Hartwich
Merricks, Der Englische Garten, Bish, Soulboy Collective.
Meist unbeschwerte Stunden und dennoch Nachdenkliches bescherten uns die Musikprojekte, bei denen der wunderbare Bernd Hartwich beteiligt war.
Die drei Alben seiner Band Bish sind die Wiederentdeckung des Jahres.
Tony Allen
Im Sommer 2019 nimmt der so bedeutende nigerianische Musiker das Album auf, welches er mit dem Südafrikaner Masekela 2010 geschrieben aber nie finalisert hat. Hugh Masekela verstarb 2018 und zum Glück sind uns diese Aufnahmen noch beschert worden. Ein Album, dass freigeistig swingt, gefühlt 1000 Jahre Beats und Bläser des afrikanischen Kontinents vereint und alle Wolken passieren läßt. Und mit einer fetten Reminiszenz an Fela: Lagos never gonna be the same, NEVER! Without Fela.
Nun ist Tony selbst gegangen.
Tony Allen & Hugh Masekela – Rejoice | World circuit
FAMILIEN-HITS
Indochine – Nos célébrations
Billie Eilish – No time to die
Bish – High as the trees