The Outsider – Richard Price nach einem Roman von Stephen King

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  27. April 2020, 16:19  -  #Alan Lomax Blog, #Fernsehen, #Essay, #Feuilleton, #serien

Bildquelle: HBO

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Seitdem ich ein kleiner Junge war hat mich der Horrorfilm fasziniert. Leider kenne ich wenige, die die Leidenschaft für dieses Genre mit mir teilen. Im Gegenteil, häufig wird die Nase gerümpft oder im schlimmsten Fall erhalte ich versteckte Maßregelungen oder sogar Hinweise darauf, dass ich mit der Liebe zu Horrorfilmen, entweder nicht normal bin oder ein gestörtes Verhältnis zu irgendwas habe.

Probieren Sie es mal aus: Der therapeutische mahnende Zeigefinger wird in Gesprächen zu dem Thema sehr schnell und häufig des Gegenübers gezückt. Ich finde das amüsant. Denn natürlich wird einem auch schnell unterstellt, dass das Interesse kindisch, nerdig oder gar auf versteckte Neigungen begründet sei.

Das ist natürlich totaler Blödsinn. Denn obwohl ich mich von Geschichten über Monster und Katastrophen angezogen fühle, bin ich völlig bei klarem Verstand.

Stephen King erklärt das Phänomen ähnlich im modifizierten Vorwort in seiner 2010er Auflage zu dem Buch DANCE MACABRE – Die Welt des Horrors. Und ich teile zumindest die Sicht auf die Anderen, die einem egal wie gut das Argument für diese Leidenschaft auch ist, mit Sätzen wie „was sollst Du auch anderes sagen“ oder „ihr seid alle ein Haufen kranker Hunde!“. Und Stephen King schreibt dann tröstlich weiter: "...nun vermutlich sind wir das, aber wir haben auch übermäßig viel Fantasie. Wir machen uns mehr Sorgen als andere, was sicherlich kein Segen ist, aber wir haben eine klarere Vorstellung von unserer Verletzlichkeit."

Dieses Buch muss als Referenz für das Thema Horror hinzugezogen werden, denn Stephen King nimmt nicht nur sich und uns in Schutz, sondern hinterfragt auch mit sehr viel Humor, den Sinn und die Möglichkeiten des Genres, welches er ja nun selbst ohne Frage dahin gebracht wo es derzeit ist. Denn es gibt wohl kaum einen zeitgenössischen Schriftsteller, der die Pop- und Filmkultur in den letzten 40 Jahren so stark beeinflusst hat, wie er.

Und es sind ja nicht nur die Bücher, sondern eben auch die unzähligen Verfilmungen und Serienadaptionen. Netflix & Co. fließen förmlich über von King Vorlagen. Vieles davon ist nicht gut, einiges unterhaltsam, ein paar Sachen genial, prägend und ein paar Bücher und Filme, stellen Meilensteine dar. So ist das eben, wenn ein Autor so einen kreativen Output hat. Er wird schnell mit Worten, wie Masse und Inflation, abgestraft. 

Somit können die drei Kernfragen öffentlich gestellt werden, die sich Stephen King in dem Buch DANCE MACABRE auch selbst stellt:

  1. Warum funktionieren viele der sogenannten Horrorfilme, sogar die mit großem Budget nicht?
  2. Warum gehen Genrefans wie wir so oft mit großen Erwartungen in einen Horrorfilm und kommen unzufrieden wieder heraus…und schlimmer noch, ohne sich wirklich gefürchtet zu haben?
  3. Warum funktionieren andere Filme – manchmal die, für die am wenigsten geworben wurde, mit winzigen Budgets und unbekannten Budgets und unbekannten Schauspielern und überraschen mit exzellentem Horror?

Und es gibt eine wesentliche Regel, die alles aus macht: Wenn ein Horrorfilm funktionieren soll, muss er mehr enthalten als Blut verspritzende Splatter-Szenen. Es geht darum das Extra, das besondere einzufangen.

Bei allen guten Stephen King Verfilmungen ist es so, dass Stephen Kings Zeichnung seiner Charaktere das wichtigste umzusetzende Mittel ist. Der Horror kommt immer vom Menschen in der Fiktion, zum Zuschauer. 

Die zehnteilige von HBO produzierte Serie THE OUTSIDER erzählt nun eine von Kings  -als nicht unbedingte beste Vorlage verpönte- Geschichte. Was aber auch daran liegt, dass das Buch ehr eine ruhige Erzählung ist und von seiner dramaturgischen Kehrtwende lebt. Ich will hier auch gar nicht auf die Geschichte eingehen und spoilern, sondern von dem Phänomen berichten, welches mein Kollege und Hauptkritiker Rick Deckard, oftmals an Serien bemängelt. Nämlich, dass diese häufig zu lang sind und sich im Erzählfluß durch zu viele Längen die Relevanz verlieren. Im schlimmsten Fall, sogar unnötig verlängert werden. Ohne künstlerischen Wert, sondern um der Gier der Menschen um das „Mehr“ zu genügen und den Kommerzansprüchen der Studios zu entsprechen. Dieser Einwand ist sehr berechtigt und notwendig. Und auch wenn ich anfangs gezetert habe und genervt war, muss ich zugeben, dass ich seit dem Tag, als er mir diese Aussage das erste Mal unter die Nase rieb, ständig drüber nachdenke. Das Argument ist ein wichtiges Attribut für meine persönliche Bewertung einer Serie geworden.

Die von Jason Bateman, Dennis Lehane und Richard Price produzierte Serie THE OUTSIDER aber entspricht, diesem negativen Attribut eben nicht. Sondern nutzt die zehn Stunden Zeit der Erzählung, um die von Stephen King geschaffenen Charaktere zu erklären und ins richtige oder wahlweise falsche Licht zu rücken.

Insbesondere Richard Price ist Garant für diese Herausforderung. Und er stellt sich der Aufgabe, dass nicht der Horror der Horror ist, sondern die Leidensfähigkeit und die Komplexität des menschlichen Geistes. Bereits mit der ebenfalls bei HBO produzierten Serie THE NIGHT OF…. hat er bewiesen, das er Dinge notwendig verlangsamen kann. Phänomenal!

Unter anderem steht die bereits in Kings Buch MR. MERCEDES eingeführte Figur der Holly Gibney als Ermittlerin im Mittelpunkt der Geschichte. Cynthia Erivo spielt diese Rolle auf einer ähnlich genialen und wirklich außerordentlich hohen Ebene, auf dem Weg eines selten zu gezeigten Charakters. Ebenbürtig der Tiefe des Anwalts John Stone in THE NIGHT OF und der legendären Performance von John Turturro. 

Produzent Jason Bateman sagte, dass es ihm auch darum gegangen ist, bei der Adaption darauf zu achten eine „gewisse Stimmung zu schaffen“. Gelungen! Allein der Erzählverlauf der ersten drei Episoden ist außerordentlich unbekannt und (leider) wenig so gesehen.

Das Böse bei THE OUTSIDER ist ein Unbekannter. Wir wissen lange nichts über ihn, woher er kommt, wer er ist, weshalb er das tut, was er besser nicht tun sollte. Einzig und alleine ein Typ mit Kapuzenjacke taucht immer wieder auf und ist das Monster. „Ich habe keine Geduld für das Unerklärliche“ sagt der rationale Ermittler und der Gegenpol zu Holly Gibney, Detective Ralph Anderson (Ben Mendelsohn) mit bedrücktem gleichförmigen Gesichtsausdruck.

 

Das Zeitalter der Vernunft, schreibt die FAZ richtig und kritisch und am Anfang dieses Artikels die von mir beschrieben Umstände, dass wir lernen müssen mit neuen Ängsten umzugehen. Oder sich eben damit zu befassen, ob wir es nun wollen oder nicht.

THE OUTSIDER ist sehr furchterregend. Sehr episch, sehr langsam und besonders anspruchsvoll, faszinierend und auf dem Weg, vieles anderes zu machen und aufzubrechen. Vieles von dem, wo sich das Genre schon lange nicht mehr dran gewagt hat: Nämlich eine Geschichte zu erzählen, die sich Zeit lässt um die Katastrophe in unseren Verstand zu tragen und unsere Intelligenz als Zuschauer anzusprechen.

Absolut sehenswert und empfehlenswert! Zusehen bei Sky Atlantic oder bei amazon Prime….

Aus Georgia

Alan Lomax

 

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