Public Enemies - Michael Mann

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  6. April 2020, 20:44  -  #Klassiker

Public Enemies - Michael Mann

Zur Zeit der Depression in den 30er Jahren beherrschte der Gangster und Kriminelle John Dillinger (Johnny Depp) die Schlagzeilen. Der auf Bankraub spezialisierte Dillinger wurde zum Staatsfeind erklärt (im englischen hat dieses Wort eine leicht andere Bedeutung: Public Enemy, wörtlich "öffentlicher Feind", ohne das Politikum in der Übersetzung).

Zu dieser Zeit steckte das Federal Bureau Of Investigation, FBI, in den Anfängen und J. Edgar Hoover (Billy Crudup) plante dem Verbrechen mit neuen Ermittlungsmethoden entgegenzutreten, mit systematischem Vorgehen, Nutzen technischer Hilfsmittel und logischem Denken. Ihm zur Seite stand Agent Melvin Purvis (Christian Bale), der fortan Jagd auf Dillinger macht.

Public Enemies ist ein brillant inszeniertes Epos in bestechender optischer Qualität mit beeindruckender Ausstattung. Michael Mann zeigt hier erneut sein ganzes Können als Regisseur von Kriminalfilmen. 3 Jahre nach Miami Vice begab sich der Meisterregisseur in die Ära der grossen Depression. Auch wenn die Zeit der Wirtschaftskrise in wenigen Szenen nur angedeutet wird, so lässt Mann diese Zeit zumindest atmosphärisch dicht wieder auferstehen, wenn auch "on the sunny side of the street". Während viele Menschen in Armut regelrecht versanken, badeten die Gangster in Geld, genossen jedoch viel Popularität in der Bevölkerung.

Mann's Inszenierungsstil ist es, der immer wieder zu beeindrucken weiß, v.a. seine optische Finesse. Hier dreht er mit High Definition Cameras, die den Film hyperrealistisch erscheinen lassen. Jede Pore, jedes Haar auf der Haut ist zu sehen. Trotzdem ist man als Zuschauer entrückt und nicht mitten im Geschehen. Dass diese Distanz möglich ist, ist seine Kunst.

Bestes Beispiel ist die hochelegante Sequenz, in der - der von Johnny Depp äusserst charismatisch verkörperte - Dillinger seine große Liebe Billie Frechette (bezaubernd gespielt von Marion Cotillard) kennenlernt. Diese Szene mit den close ups und der wunderschönen Ausleuchtung ist ein Highlight des Films. Kamera-Ass Dante Spinotti zaubert geradezu Bilder auf die Leinwand.

Der Film ist bis zum packenden Finale sehr spannend inszeniert und hoch unterhaltsam. Nicht zuletzt auch wegen der rasant inszenierten Verfolgungsjagden und der superb gedrehten shoot outs, die Michael Mann bekanntermaßen in HEAT als Kunst zelebrierte. Beispielhaft dafür ist der nächtliche Angriff von Purvis und seinen Männern auf ein Versteck des Gangsters im Wald. Grossartig in Szene gesetzte Action, in der Stephen Graham (bekannt aus vielen Serien) als Babyface Nelson zur Hochform aufläuft.

Die Ausstattung erfolgte mit grosser Hingabe bis ins kleinste Detail, ob es die alten Automobile sind, die Kleidung und Kostüme oder auch die Städte der damaligen Zeit. Das ganze wird abgerundet mit sehr passender Musik aus der Ära und eines beim Betrachten des Films wahrnehmbaren Scores von Elliot Goldenthal.

Der Film reiht sich nahtlos in das Oeuvre von Michael Mann ein. Nach seinen Meisterwerken HEAT und COLLATERAL sind MIAMI VICE als auch PUBLIC ENEMIES als superbe Thriller/ Kriminalfilme zu werten.

Wie ich in dem vorherigen Artikel darauf verwies, reiht sich dieser Film in die persönliche Retrospektive ein und ist zugleich auch Abschluss der kleinen Trilogie aus dem Genre der Gangsterfilme mit SCARFACE von Howard Hawks und DER CLAN DER SIZILIANER von Henri Verneuil.

Erstaunlich meine heutige Sicht auf den Film. Insofern es Sie interessiert lesen Sie die Besprechung weiter unten zu dem gleichen Film vor 11 Jahren: Diametral. Als Kompagnon Alan Lomax diesen Blog vor Jahren aus der Taufe hob, verfolgte er genau dieses Ziel, nämlich Gedanken zu archivieren. Der Nutzen offenbart sich jetzt.

Daraus ergeben sich viele Fragen, wie z.B.:

Von welchen Kriterien ist das Urteil zu einem Film abhängig?

Welchen Einflüssen, welchen Stimmungen waren wir vor der Betrachtung des Films ausgesetzt?

Wie beeinflussen eigene Emotionen die Betrachtungsweise und nachfolgende Kritik ?

Sind Erwartungen in der Rezeption von Filmen hinderlich?

Natürlich kann eine Besprechung, eine Kritik, eine Rezension stets nur subjektiv sein, entweder das popkulturelle Produkt berührt einen, oder eben nicht. Nur: Können wir uns von den Einflüssen, denen diese Berührung ausgesetzt ist, frei machen?

So, wie man klassische Musik und Filmmusik, orchestrale Musik im Allgemeinen, nahezu immer nach mehreren Hördurchgängen beurteilt, erst beurteilen kann, sollte man Filme, auch die Klassiker und Meisterwerke von Zeit zu Zeit einer neuen Bewertung unterziehen. Sie erlauben schliesslich auch Rückschlüsse auf einen selbst, was durchaus spannend ist.

Aus Chicago,

Rick Deckard

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