Der Clan der Sizilianer - Henri Verneuil

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  4. April 2020, 17:33  -  #Klassiker

Der Clan der Sizilianer - Henri Verneuil

Vor einiger Zeit habe ich mit einer persönlichen Retrospektive begonnen, deren Ziel es war herauszufinden, ob die Filme, die man früher bewunderte und in die eigens erstellte Bestenliste aufnahm, noch immer eine Daseinsberechtigung in dieser Auflistung haben? Verlieren die Filme an Bedeutung, durch eine persönliche Weiterentwicklung und Veränderungen in der Rezeption von Popkultur? Diese Fragen haben mich stets interessiert.

1969 dominierten drei Superstars des französischen Kinos die Leinwand in dem von Henri Verneuil superb inszenierten Gangsterfilm aus dem Subgenre des "Heist-Movie": Jean Gabin, Lino Ventura und Alain Delon. Gabin spielt das Familienoberhaupt einer sizilianischen Familie in Paris, der einem von Delon gespielten Gangster zur Flucht verhilft, um mit ihm einen letzten Coup zu landen.

Der Film ist von bestechender und zeitloser Qualität, was vielerlei Gründe hat.

Allen voran die Handlung. Verneuil erzählt die Geschichte mit einer beeindruckenden Präzision, was auch dem exzellenten Schnitt geschuldet ist. Szenen mit unterschiedlichen Tempi geben sich wechselweise die Hand und trotz dieser Tempowechsel bleibt der Film am Ende harmonisch in sich geschlossen. Von Beginn an hält der Regisseur mit seinen glänzend agierenden Darstellern die Spannung hoch. Bemerkenswert: Erst am Ende der Geschichte sympathisiert der Zuschauer, zumindest mir erging es so, mit dem der drei Hauptdarsteller, zu dem man eine Sympathie am wenigsten erwartet hätte.

Ein weiterer Grund sind die Schauspieler. Es ist unfassbar mit welcher Lässigkeit und Eleganz Gabin, Delon und Ventura ihre jeweiligen Charaktere verkörpern. Achten Sie in der Szene, in der Jean Gabin seinen Freund Toni Nicosia am Flughafen abholt, auf die Eleganz von Gabin, seine Körpersprache und Mimik, insbesondere den Ausdruck der Freude, als er seinen Freund sieht. Das ist Style und nur wenige Stars sind in der Lage, diesen auf der Leinwand zu vermitteln. Der Grandseigneur des französischen Gangsterfilms! Weltklasse!

Alain Delon, den ich sich sehr verehre, spielt den skrupellosen und brutalen Charakter des Roger Sartet mit dem ihm eigenen und unnachahmlichen Charme. Eiseskälte aus jeder Pore. Nur einmal zu Beginn, als der Vertreter der Anlage ihm seine eigene Biografie vor Augen hält, huscht ein Schmunzeln über seine Lippen. Delon ist perfekt in seiner Rollengestaltung. Unglaublich cool -  wozu auch die Sonnenbrillen und die Kleidung jener Zeit beitragen - sein Gestus. Der Clou in seinem Spiel besteht darin, dass man den von ihm gespielten Charakter, trotz seines amoralischen Verhaltens, bewundert (Halo-Effekt). Auch dieses Talent ist nur wenigen Stars gegeben. Leinwandpräsenz!

Lino Ventura kommt - so meint man zunächst - die undankbarste Rolle in diesem Film zu, die des Jägers, des Kommissars, der den (sympathischen) Gangstern auf der Spur ist und wie ein Bluthund jeder noch so kleine Fährte aufnimmt. Aber erst Ventura macht dieses Trio als Inspector Le Goff perfekt. In Verve steht er den beiden vorgenannten keinen Deut nach. Unnachgiebig und trotz aller Rückschläge vertraut der Polizist seinen Instinkten und macht unerbittlich Jagd.

Ich werde es nicht müde zu betonen: Filme aus diesen Epochen bieten einen historischen Rückblick in Architektur und Infrastruktur einer Stadt, eines Landes. Die Autos aus jener Zeit zu sehen, die Kleidung, die Innenausstattung und die Dekors, grundsätzlich das analoge Zeitalter sind erhebende und Freude spendende nostalgische Momente. Heute ist das Schreiben einer Nachricht auf dem Smartphone selbstverständlich, binnen Sekunden wird sie um den Erdball geschickt. Wunderbar die Szene, in der die Frau eines Sicherheitsbeauftragten ein Telefongespräch nach Rom anmelden muss, nachdem sie vorher eine Nummer in einem dicken Telefonbuch aus Papier hat suchen müssen.

Die Krönung des Ganzen, das Ice Topping, ist die Filmmusik von Ennio Morricone.

Der Clan der Sizilianer - Henri Verneuil

Das Titelthema ist ein Geniestreich des italienischen Komponisten. Maestro Morricone schuf für diesen Film nicht nur eine seiner eingängigsten Melodien, sondern seine Musik wertet den Film auf. Ohne seine musikalische Untermalung würde er nur die Hälfte seiner Wirkung erzielen. 

Das Titelthema mit Stahlgitarre und Maultrommel ist eine kongeniale Übersetzung des Charakters des Vittorio Manalese, des nach Frankreich ausgewanderten Sizilianers, der sich nach seiner Heimat sehnt. Morricone findet in der Maultrommel für die Raffinesse des Filous das ideale Instrument, aber auch für seine geografische Zugehörigkeit. Konterkariert wird das Ganze mit einer Melodie auf der elektrischen Gitarre. Das Genie von Morricone besteht in seiner Kunst das Schicksal Vittorio Manaleses dann in einer Melodie zu spiegeln, die von Streichern vorgetragen wird und in ihrer Melancholie tief romantische Wurzeln in sich trägt. Was für ein wunderschönes Thema! Sensationell!

Ein weiteres herausragendes Stück ist das für Inspector Le Goff und die Verfolgungs- bzw. Actionszenen geschriebene Thema. Hier macht Morricone eine 180° Kehrtwendung und peitscht die Handlung geradezu mit einem treibenden, unerbittlichen Motiv voran. War die erste Melodie gezeichnet von einem Legato, so passiert hier genau das Gegenteil. Mit mäandernden stakkatohaften Tönen, die kaum variieren, prescht die Musik unbeirrbar voran und verleiht den Szenen eine unglaubliche, fast mechanische, Kälte. In dem Thema spiegeln sich die Hektik und Hysterie wieder, die die fiebrige Jagd von Le Goff begleiten. Morricone goes Heavy Metal! Auch dieses Thema ist so eng mit den Bildern und dem Erfolg des Films verbunden, dass es nicht wegzudenken ist.

Die Musik kreist im Kern um diese beiden Hauptthemen und im Grunde braucht sie auch nicht mehr. Der Komponist geht sehr ökonomisch ans Werk. Seine Filmmusik ist genauso meisterhaft, wie der Film und in der Summe ergeben seine Klänge und die Bilder mit den Schauspielern einen der besten Gangsterfilme aller Zeiten.

Der Clan der Sizilianer hat über all die Jahre nicht ein Stück von seiner Bedeutung verloren, weder durch persönliche Veränderungen, noch durch eine veränderte Wahrnehmung von Filmen im Laufe der Zeit. Das macht ihn zeitlos, viel bedeutender jedoch ist, dass diese Erkenntnis auf seine Qualität verweist.

Ein Meisterwerk.

Rick Deckard

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