JOKER

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  15. März 2020, 20:51  -  #Filme

JOKER

JOKER ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.

Der Erfolg dieses Films - mehr als eine Milliarde (!) Dollar an Einnahmen weltweit - ist ein Phänomen, wie es immer wieder mal im Kino zu beobachten ist. Der Erfolg erstaunt umso mehr, als dass der Film gegen alle Konventionen des modernen Blockbusterkinos verstösst: Er ist nicht Sinn entleert, er bietet keine Special Effects, keine Actionszenen, keinen Superstar. Trotzdem haben ihn so viele Menschen gesehen.

Er erstaunt auch deswegen, weil er von der ersten bis zur letzten Minute Old School ist, es gibt sogar eine Titelsequenz! In ruhigen Bildern, in langen Einstellungen erzählt er eine Episode aus dem Leben eines Menschen. Er ist noch nicht einmal eine klassische Comic-Verfilmung, vielmehr ein Psychogramm. Es gibt keine Gewinner, keine Verlierer, selbst die "Boy meets Girl"-Thematik wird weitestgehend ausgeblendet, von einer Love-Story ganz zu schweigen.

Trotzdem wurde der Film ein Riesenerfolg. Warum? Auf diese Frage gibt es keine Antwort, gäbe es sie, so hätten die Studios, Produzenten und Regisseure eine Blaupause und jeder zukünftige Film wäre ein Erfolg. Wie so häufig ist es etwas, was die Menschen als Antwort nicht gerne hören: Ein Zufall. Damit soll keineswegs die Qualität des Films gemildert werden.

Ich vermute es hat viel mit der Person des Arthur Fleck zu tun und seiner Entwicklung zum Antihelden, zum Erzfeind von Batman: Joker.

Zwei Gegensätze zeichnen uns Menschen aus: Gewalt und Mitgefühl. Ich vermute der Erfolg des Films beruht auf Letzterem. Die Zuschauer leiden mit dem Protagonisten und empfinden ein großes Mitgefühl für ihn durch sein Schicksal. Anders lassen sich die hohen Zuschauerzahlen nicht erklären.

Wir sehen die Geschichte des Arthur Fleck, der so gerne Stand-Up Comedian werden würde, es ihm aber mangels Talent und Resonanz nicht vergönnt ist. Er gerät immer weiter in einen abgründigen Strudel, als ihm seine Stelle gekündigt wird und er keine Perspektive mehr sieht. 

Unmittelbar nach dem Sehen des Films war ich euphorisch, aber nach dem Rausch kommt bekanntlich der Kater, die Ernüchterung. 

JOKER

Wakeen Phoenix spielt Arthur Fleck mit einer beeindruckenden Intensität. Das steht ausser Frage. Allerdings nur auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinsehen offenbaren sich jedoch eklatante Schwächen in seiner Darstellung, die zum Teil einem massiven Overacting geschuldet sind, zum anderen einer mangelnden Glaubwürdigkeit. Das liegt daran, dass Phoenix es in seiner Darbietung übertreibt. Ihm fehlt das Timing für die Situation. Oftmals erwecken die Szenen den Eindruck, als ob Regisseur Todd Phillips die Kamera laufen gelassen hat, um Phoenix improvisieren zu lassen. Es fehlt die Harmonie im Spiel des Phoenix. 

Das Lachen ist das berühmte Merkmal des Joker. Phillips und Phoenix begehen den Fehler, dass sie es auch mit dem Lachen übertreiben. Am Ende wirkt es inflationär und verfehlt dadurch seine Wirkung. Nichts gegen Methode-Acting einzuwenden, aber aus welchem Grund hat Phoenix für diese Rolle so abgemagert? Weder aus der Handlung heraus, noch aus einem anderen Grund erschliesst sich dafür der Grund. Ich glaube es ist schlicht der Mittel zum Zweck und das ist ein weiterer Grund, warum Phoenix' Darstellung nicht glaubwürdig erscheint.

JOKER hat Längen. Viele Längen. Eine straffere Erzählung und eine dichtere narrative Struktur hätte dem Film geholfen. Das Problem ist, dass der Film eine sehr dünne Kernhandlung hat. Um diesen Kern herum wird Zeit aufgefüllt und das verursacht eine gewisse Gleichmässigkeit, Monotonie. Der Film hat wenige dramaturgische Momente und wenn, dann liegen diese in den Rückblicken.

Heath Ledgers Darstellung in THE DARK KNIGHT bleibt das Maß aller Dinge. Eine Glanzleistung! Davon ist Wakeen Phoenix weit entfernt. Wahrscheinlich bin ich der einzige Mensch auf diesem Planeten, der das so sieht, aber ich betrete ungerne eingelaufene Pfade und plappere auch nicht nach, was andere von sich geben. Ich meine die Rezensionen zu JOKER, sie lesen sich nahezu alle gleich, was das Spiel von Phoenix betrifft.

Der Film hat aber einige echte Highlights zu bieten und das ist die Darstellung der Urbanität mit all ihren schönen und hässlichen Seiten. Es gibt einige fantastische Aufnahmen aus der Vogelperspektive. Ein weiteres Highlight ist die Filmmusik von Hildur Guonadottir. Abseits des Films wird sie ungeniessbar sein, aber im Film entfalten die Klänge ihre volle Wirkung, wenn auch die Musik zu oft eingesetzt wird und dadurch zu präsent ist. Das ist in meinen Augen ein Fehler, weil die Musik zu einem eigenen, mächtigen Charakter wird und man irritiert wird durch das permanente Bedürfnis der Töne, sich in den Vordergrund drängen zu wollen.

Martin Scorseses Einfluss auf das moderne Kino (und diesen Blog, er ist gewissermaßen der geistige Blogfather) ist nach wie vor immens und es zeigt sich, dass sowohl KING OF COMEDY, als auch TAXI DRIVER zeitlos sind. Um die Parallelen zu erkennen, bedarf es keiner Literatur oder Auswertung der Rezensionen, Cineasten erkennen den Einfluss dieser Filme sofort und das ist ein weiterer Fehler, aber auch "Geniestreich" zugleich.

Ein Fehler deswegen, weil die Handlung schlicht eine Kopie dieser Filme ist, eingebettet in das DC Comic Universum. Wer die beiden Filme kennt, kennt auch den Verlauf und den Ausgang. Phillips und sein Co-Autor Scott Silver zitieren dermaßen ungeniert, dass man JOKER fast als ein Plagiat bezeichnen muss.

Ein Geniestreich deswegen, weil der Kern der Handlung aus TAXI DRIVER mit seiner Botschaft, seiner Analyse, seiner Magie (wenn man so will) noch immer funktioniert, zeitlos ist. Das dürfte ein weiterer Grund dafür sein, warum JOKER so extrem erfolgreich für diese Art Film war. So wie Travis Bickle ist Arthur Fleck Gottes einsamster Mann.

Ein Hoch auf Martin Scorsese und Paul Schrader!

Das Ende von JOKER ist brillant, weniger wegen des Filmendes, sondern wegen der Verknüpfung zu Jokers Nemesis und wegen der Verknüpfung zu der entscheidenden Szene in der U-Bahn. Wenn Ol' Blue Eyes den Klassiker von Stephen Sondheim singt ... das ist Gänsehaut pur.

JOKER hinterlässt ein zwiespältiges Gefühl. Auf der einen Seite zeigt er mit klarer Präzision und filmisch wunderbarer Old School Manier, wie das Böse in der Gesellschaft Arthur Fleck durchdringt und ihn zu Joker werden lässt, auf der anderen Seite lässt er zu viele Möglichkeiten aus, die ihn zu einem grossartigen Film hätten machen können. Das liegt am Regisseur und am Drehbuch.

Todd Phillips hat weder das Talent von Scorsese noch von Nolan.

Leider.

Aus Gotham City,

Rick Deckard

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