Abel Ferrara – Tomasso (2019)
120 Minuten erleben wir, das von Willem Dafoe dargestellte Leben, des Alt-Kult-Regisseurs Abel Ferrara. Der in New York geborene Drebuchautor und Filmemacher, gilt in Hollywood automatisch als Außenseiter. Was auch an seinem Hang zum europäischen Autorenkino liegen könnte. Neben Woody Allen und Martin Scorsese muss er aber unbedingt zu den großen Chronisten der Stadt New York zählen.
KING OF NEW YORK, Ferarra’s Meisterwerk ist eine fiebrige, gewaltsame, atemlose und brutale Geschichte über die Mafia, chinesische Triaden und eine Abrechnung mit dem Mainstreamkino seiner Zeit. Wer seinen nächsten großen Film BAD LIEUTENANT jemals konzentriert im Kino gesehen hat, weiß was es bedeutet durchzuhalten. Kritiker und Zuschauer bezeichnen den Streifen immer wieder als Zumutung. Mit etwas Distanz, aber wird der geneigte Zuschauer schnell der Auffassung sein, dass hier ein sehr körperlicher Film über Moral stattgefunden hat. Erzählt aus einer anderen Perspektive, die bis heute seines Gleichen sucht.
Es folgen weitere Werke die floppten oder für Aufsehen sorgten. Den Schritt in die großen Kinopaläste hat der Wahl Römer nie gewollt. Von „Schaffen“ ist wohl nicht die Rede bei den Geniestreichen, seines gesamten Werkes.
Gestern stellte Abel Ferrara mit seiner unglaublich schönen Frau Christina Chiriac und Tocher Anna seinen neusten Film TOMMASO in Köln vor. Bei der Deutschland Premiere stand er dem Publikum für eine Q&A Session zur Verfügung.
Genauso lebendig wie der Film, stellt er sich dabei dem Publikum vor. Irgendwie ruppig, fordernd und authentisch und sehr, sehr künstlerisch abgedreht.
Der Film selbst ist wie ein einziger Spaziergang. Die Kamera verfolgt TOMASSO dabei (der keinen Vor- oder Nachnamen hat) in seiner Alltags-Realität und seinen Tagträumen. Ständig verfolgt von Ängsten, Zweifeln, aber auch Lebensmut und Verliebtheit in; ...tatsächlich in die NIKKI und die ANNA, die in Wirklichkeit Ferraras Familie ist. Dafoe ist dabei natürlich unglaublich gut. Er spielt nie sich selbst, sondern immer die selbstdramatisierende Legende Abel Ferrara.
Irgendwie merkt man dem Film die jahrzehntelange Erfahrung des Regisseurs an. Und an den wirklich lebendigen und echten Stellen des Filmes fühlt er sich auch tatsächlich unterhaltsam an. Aber es gibt auch seltsame Sequenzen die insbesondere auf der großen Leinwand fürchterlich wirken.
Ich meine da in erster Linie die Sexsequenz auf dem Sofa in der Wohnung des Pares, die im Übrigen die echte Wohnung von Abel Ferrara und Frau Christina ist, die dann als Nikki mit Tomasso, also Dafoe, echten Sex hat. Unangenehm anzusehen. In der Folge sind auch die Sexphantasien des alternden Lüstlings Ferrara ehr als widerlich zu verstehen, da sie im übertragenen Sinne der Doppeldeutigkeit nicht ästhetisch sind.
Es bleibt die Frage offen die der Regisseur sich selbst und dem Publikum stellt: Kann ein Mann sich verändern und Güte über Sünde stellen?
Am Ende lässt uns Ferrara mit drei offenen Enden zurück. Vielleicht hätte er uns diese Optionen und somit 30 Minuten verlorene Zeit ersparen sollen und mit Tomasso‘s fragenden Gesicht, welches die Leinwand vollständig annimmt, stoppen sollen.
Aber vielleicht hätte das dem destruktiven wütendem Geist Ferraras nicht entsprochen. Und wer will schon über die große Ausdrucksfähigkeit des genialen Geistes Abel Ferrara richten. Ich nicht. Wer Zeit hat und mal wieder eine intellektuelle Herausforderung sucht, sollte sich den Streifen ansehen. Der Film mit seinen vielen bizarren Momenten, wird auch als Film, für den unverstanden Mann, bleiben. Und da bin ich dann auch selbst gerne als erster dabei, der hier ruft!
Aus Rom und vom Film Festival Cologne 2019
Alan Lomax