THE MULE - Clint Eastwood

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  6. Juli 2019, 18:13  -  #Klassiker

THE MULE - Clint Eastwood

Ain't that a kick in the head?

Das legendäre Duo Sammy Cahn und Jimmy van Heusen schrieben in den Sechzigern einen ihrer grössten Hits, den Dean Martin in Ocean's Eleven unnachahmlich interpretierte. In THE MULE sieht man einen älteren Mann, der diesen Song singend eine Interstate entlang fährt. Bei seinem Anblick wurde mir warm ums Herz, denn dieser Mann ist nicht irgendwer, sondern

CLINT EASTWOOD

Wenn Sie nachempfinden wollen, warum für Lomax und mich das Kino neben der Musik eine unserer grössten Leidenschaften ist, dann sehen sie sich Eastwoods neuen Film an. THE MULE ist ein Genuss, von der ersten bis zur letzten Sekunde. Bereits nach den ersten 20 Minuten spürte ich intuitiv, dass er mir gefallen wird. Mehr als das, er ist einer seiner besten Alterswerke. Nun könnten Sie mir vorwerfen, dass schreibe ich über fast jeden seiner Filme! Das ist richtig, aber die Antwort auf den unausgesprochenen Vorwurf, der Rückschluss ist ein anderer: Er kann es eben!

Achten Sie auf den Rhythmus des Films, das ist ganz grosse Kunst! Eastwood und seinem langjährigen Cutter Joel Cox gelingt es, das Tempo perfekt über die Länge des Films zu halten. Wie wunderbar gelassen und unaufgeregt man eine Geschichte erzählen kann, ohne auch nur eine Sekunde zu langweilen! Damit ein Film gelingt, der Zuschauer bis zum Ende gefesselt bleibt, muss man eine Geschichte erzählen können und die Dramaturgie beherrschen. Schauen Sie sich den Großteil der neueren Filme an, die ins Kino kommen: Überproduziert, laut, visuell überbordend und voll mit Spezialeffekten. Das sind sie, weil etwas kaschiert werden soll: Sie haben keine Geschichte zu erzählen!

Clint Eastwood vollführte eine so nie vermutete Wandlung vom Western- und Actionstar zu einem grossen Regisseur. Er blieb, wie so viele, nicht stehen, sondern entwickelte sich immer weiter. 

THE MULE - Clint Eastwood

In THE MULE erzählt er uns der mittlerweile 89-jährige Eastwood eine Geschichte, basierend auf einen Artikel, der in der New York Times erschienen war. In diesem wird die Geschichte eines 90-jährigen Amerikaners erzählt, der als Kurier für ein mexikanisches Drogenkartell arbeitete.

Ein absolutes Highlight in THE MULE, und das beherrscht keiner besser als er, sind die lakonischen Einzeiler und Dialoge mit einer wunderbar austarierten Balance zwischen reaktionärem Gedankengut und distanziert ironischer Betrachtung. Ich wette jeden Cent, dass Alan Lomax an diesen Stellen gelacht hat! Diese Direktheit und präzise Ausdrucksweise ist ein Stilmittel, welches dem Hollywoodkino gänzlich abhanden gekommen ist. John Milius beherrschte es, Sam Peckinpah, John Wayne, die Haudegen eben. Denen bedeutete die viel zitierte "political correctness" nichts, gerade deswegen wurden sie so populär.

Eastwood beherrscht als Kontrast dazu aber auch die Fähigkeit, und das ist mir insbesondere bei THE MULE aufgefallen, viele nicht einfache Themen aus einem entfernten Blickwinkel zu betrachten, mit einer (gelegentlich ironischen) Distanz, die Menschen sich aneignen müssen, welche in Berufen mit Extremsituationen arbeiten: Je bedrückender und herzergreifender das Ereignis ist, desto grösser die innere Distanz. Ein Schelm der meint, das läge an der schauspielerischen Begrenzung des Hauptdarstellers, doch das ist nicht richtig. Eastwood fungiert eher als stiller Beobachter und nimmt uns Zuschauer dabei sanft an die Hand. Diese konträren Pole (Widersprüche) machen ihn so interessant, über all die Jahre hinweg!

Clint Eastwood hat sich überzufällig häufig in seinem späten Oeuvre als Regisseur mit Tod, Vergänglichkeit, Reue und Erlösung beschäftigt. Warum er das getan hat, das ist mir bis heute nicht klar geworden, scheinbar hat er als Mensch die nötige Reife erlangt das zu tun, oder eben das Bedürfnis als Künstler verspürt, es mit dem Medium Film ausdrücken zu wollen. Seine Filmografie bezeugt das unübersehbar, beginnend mit MYSTIC RIVER, über MILLION DOLLAR BABY, GRAN TORINO bis hin zu AMERICAN SNIPER, alles überragende Filme des US-Amerikanischen Kinos. Ihm zu Gute halten muss man die Tatsache, dass er das nie mit dem klassisch erhobenen Zeigefinger tat, sondern verschleiert in den Dialogen und den Gesichtsausdrücken  verbarg.

Er liebt das Kino, wir lieben Eastwood, und dass er Kino mit grosser Hingabe zelebriert, sieht man dem Film an. Neben aller Ernsthaftigkeit ist er auch einer seiner lustigsten geworden. Was für eine wunderbare Szene mit Bradley Cooper im Diner, die Szene, in der er von Kartell-Mitgliedern auf der Strasse angehalten wird (erster atemloser Lacher) oder aber einer Familie, die mit einem Platten an der Strasse liegen geblieben ist, helfen will (Atemnot). Wunderbar seine Sticheleien gegen das Internet und mobile Telefone, was für herrliche Zeilen!

Warum lieben Lomax und ich Eastwood? Man kann nicht anders als ihn zu lieben, wenn man sieht, wie sich die Kamera zu Klassikern des Great American Songbook erhebt und die Schönheit der amerikanischen Landschaft einfängt. Das ist prächtige Americana und wenn Clint sein Basecap aufsetzt, achten Sie genau darauf, wie (!) er es aufsetzt! Da möchte man nichts weiter tun, als sich ein Pferd zu besorgen und mit ihm in die untergehende Sonne zu reiten. Genau wegen solcher Momente und wegen solcher Szenen, haben wir einen Menschen wie Eastwood zu einem unserer Helden erkoren. Das ist absoluter Kult, und ich meine Kult.

Ich musste bei diesem Film wiederholt tief durchatmen, THE MULE erinnerte mich an eine Zeit des Kinos, die längst vergangen ist und dann sitzt man mit offenem Mund staunend vor dem Fernseher und sieht einen der größten Helden aller Zeiten, einen Megastar, eine Ikone, eine lebende Legende mit seinem unnachahmlichen Gang über die Leinwand schreiten und sagt sich: Was für'n kick!

Grenzenlos euphorisch,

Rick Deckard

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