674.FM: Lomax meets Tonarm - Eine Nachlese
Inmitten der kaum erträglichen sommerlichen Temperaturen sass ich in einem halbrunden Zimmer umgeben von Glas und Stahl und blickte auf vorbeifahrende Autos und Strassenbahnen. Um 15:00 sollte es losgehen und ich verlegte meine Reise an diesem Sonntag nach vorne, um bei dem Live-Event, besser Main Event (um Sinatra zu huldigen), dabei sein zu können.
Ein grandioser Sonntagnachmittag!
Es kullerten Tränen der Freude, die Euphorie war mindestens genauso groß, wie die der Moderatoren und eines war gewiss: Dieser Tag sollte in die persönliche Geschichte eingehen.
Natürlich ist man befangen, wenn man als Mitstreiter und Freund von Alan Lomax eine Nachlese zu Bildschirm bringt. Doch ich habe mich den Nachmittag hindurch bemüht, die Musik so wahrzunehmen, wie jemand, der sie noch nie gehört hat (oder selten).
Akribisch machte ich mir Notizen von der ersten bis zur letzten Sekunde, eben um den Nachmittag im Nachhinein so nah wie möglich kommentieren zu können, doch meine gesammelten Worte waren nicht mehr auffindbar. Nach mehreren cholerischen Anfällen entschloss ich mich aus der Erinnerung heraus zu schreiben.
Ich wurde Zeuge, wie sich zwei Fremde von Null auf Hundert in das Lomax & Deckard'sche Universum katapultierten und Lomax in der Öffentlichkeit Zeugnis darüber ablegte, warum er für mich best pal ever ist. Wegen der Anglizismen bitte ich um Nachsehen, aber ich will ein wenig im Tenor der beiden Moderatoren bleiben, Meister des Denglisch.
THURY "The Barry" TONARM
Auf den Host war ich sehr gespant. Die Eröffnung gelang meisterhaft! Es war eine perfekte Mischung aus orchestraler Musik, Grooves und positiven Vibes. Scheinbar hatte es Mr. Barry Mr. Tonearm angetan. Das ist aus zwei Gründen verständlich: John Barry ist deswegen so berühmt, weil er wie kein zweiter Melodien schrieb, die so komponiert (konstruiert) waren, dass sie sofort im Gedächtnis haften blieben (Henry Mancini war ein weiterer, der diese Gabe auch besaß), zum anderen wurde er durch den James Bond Franchise einem Weltpublikum zugänglich. Ausser John Williams und Ennio Morricone war das nur sehr wenigen anderen Filmmusikkomponisten vergönnt. Der Erfolg und Bekanntheitsgrad hängt schliesslich auch vom Erfolg des Films ab.
T. Tonarm wurde mit dieser Sendung zur lebenden Legende (man muss dazu wissen, dass ich ein äusserst großer Fan von Nicknames oder auch Künstlernamen bin), was wiederum zwei Gründe hat:
1. Tonarm ist Kinetik pur. Man assoziiert sofort eine Bewegung, nämlich die des Tonarms in Richtung Schallplatte. Diese Bewegung erfolgt manuell oder automatisch, in jedem Fall bleibt es eine Bewegung. Und so einen Namen als DJ. Überragend.
2. Die Stimme. Ich versuche häufig von der Stimme auf das Aussehen, den Menschen zu schliessen, was natürlich sehr selten (nie) gelingt. In diesem Fall imponierte eine klare, ganz leicht näselnde, scharfe, leicht mechanisch klingende Stimme mit sparsamen, aber doch effektiven Modulationen, so als hätte Kraftwerk Tonarm angestöpselt. Ich stellte mir einen schlaksigen, gross gewachsenen, braungebrannten, dunkelhaarigen Moderator vor, so wie ein jugendlicher Erwachsener aus den Favelas, der später Fußballstar wird.
TT variierte den ersten Teil der Sendung mit wunderbaren Tracks, die als Appetizer hervorragend funktionierten, hier und dort hörte man sogar eine Sitar. Doch wirklich beeindruckt war ich, als er einen Track aus MOONRAKER spielte (Sensationell: Thury Tonarm!), einen meiner absoluten Lieblings-Bonds (Besprechung folgte übrigens in Kürze), in dem Barry musikalisch den Flug ins Weltall tonmalerisch unterstützt. Was für ein Kracher zu Beginn! Doch damit nicht genug, es folgte ein Source Track aus THE SPY WHO LOVED ME, ebenfalls All Time Favorite. Grandios übrigens, wie der Mann der bei Notgroove zuhause ist, diesen Track ankündigte. Was für ein Spass!
Bereits hier zeigte sich: Da waren Menschen mit ernsthaftem Interesse an der Filmmusik zugange und versuchten nicht die Zeit irgendwie zu füllen. Bevor wir von der lebenden Legende zum 674.FM Kultstar wechseln, zunächst ein "Interlude".
ALAN "The Superman" LOMAX
Was für eine Freude, den best Buddy im Radio zu hören! Gänsehaut pur. Lomax war gut drauf, um nicht zu sagen: Sehr gut. Mit fiebriger und erregter Stimme führte er uns durch den zweiten Teil des Nachmittags und das Lomax auch Leidenschaft meint, wenn er Leidenschaft sagt, das hörte man eben an der Stimme, die voller Enthusiasmus, Freude und Hingabe war.
Surfte der Notgroove-Meister auf den Wogen charmanter Soundtracks entspannt der Sonne entgegen, so ging es bei Lomax ans Eingemachte. Wir durften einen rasanten, wilden, romantischen, fiebrigen und poppigen Querschnitt durch die Welt der Filmmusik, der Scores, erleben.
Lomax drehte auf: In Viererblöcken schwappte eine Welle nach der anderen in Richtung Trommelfell und führte zu ekstatischen Zuckungen, Hochreißen der Arme und nostalgischer Wehmut. DJ Lomax spielte ebenso souverän auf der Klaviatur unserer Emotionen, wie einst die Hand von Oscar Peterson perlend über die Tasten glitt. Vom Golden Age über das Silver Age führte uns Alan "The Blog" Lomax in die Gewässer vor der Küste Massachusetts.
Furios!
Franz Waxman (unglaublich!), Dimitri Tiomkin, Al Newman (Lomax: Einer Deiner besten Einfälle!) Bob Crewe & Charles Fox, Lalo Shifrin, Ennio Morricone and last but not least: Mr. Score himself: John Williams. Es war wie im Schlaraffenland. Wer hier nicht gelacht, geweint, getanzt hat, dem ist nicht zu helfen.
Danke für die herzlichen Worte und das Lob Mr. Songhunter, aber es gibt mit Sicherheit Menschen in diesem Land, die auf diesem Gebiet versierter sind als ich.
Nach Einstellung der Shifting Gears endete dieser grossartige Nachmittag mit einem Paukenschlag und einem so nicht erwartetem Ende:
KARL "Radio Killed The Video Star" HEINZ
Unfassbar. Ein Titan des Jazz. Als alle dachten, das war es, kam Karl-Heinz mit seiner "Fuck You All"-Nummer (positiv konnotiert!) um die Ecke und drosch uns eine Hancock Nummer um die Ohren. Das war Hardcore-Scoring vom Allerfeinsten. Und dann auch noch mit der Musik zu dieser ambivalenten und höchst strittigen One Man Show von Charles Bronson. Wow.
Sensationell.
674.FM
Die deutsche Radiolandschaft, zumindest im Mainstream Bereich, als auch sonst, ist eine mittelschwere bis schwere Katastrophe. Seit Kindesbeinen an bin ich ein grosser Liebhaber des Radios. Ich verbrachte unzählige Stunden in meiner Kindheit damit, mit meinem kleinen Transistorradio unendlich vielen Sendungen und faszinierender Musik zu lauschen. Die Mischung aus Musik und menschlicher Stimme ist in der Medienwelt einmalig und die moderne Entwicklung kann nicht mit dem Zauber des Radios mithalten. Der Grund liegt darin, dass das Radio zu Fantasie anregt, allein aus dem Grund, da sämtliche visuellen Reize ausgeschlossen sind. Darin liegt die grosse Kunst der Moderation: Den Hörer einladen, mitnehmen und begleiten. Radio ist stets Inspiration und Ermunterung zugleich. Es gilt den Ausführungen des Moderators zu folgen und neue Welten zu entdecken.
Genau das beherrschten alle drei an diesem wunderbaren Nachmittag:
Danke an Mastermind und Notgroove Jedi Thury Tonarm!
Danke an Karl-Heinz und allen bei 674.FM (by the Way: Wer ist diese Dame, die immer "674.FM Bam!" ruft?)
Danke an Alan Lomax für diese sehr ergreifenden zwei Stunden, Deinen Elan, Deinen Pragmatismus und Deinen Mut.
Die Büchse der Filmmusik öffnete sich und hinterliess glitzernde Funken.
Irgendwo im Äther,
Rick Deckard