Der weisse Hai (JAWS) - Teil I einer Retrospektive: Ist der Klassiker-Status berechtigt?

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  28. April 2019, 20:25  -  #Klassiker

Der weisse Hai (JAWS) - Teil I einer Retrospektive: Ist der Klassiker-Status berechtigt?

Die lange Osterpause ist vorbei. Wir heissen Sie wieder herzlich bei Lomax & Deckard willkommen!

In Zeiten, in denen kritische Kommentare zu Franchise, Prequels,  Sequels und Comic-Verfilmungen nicht verstummen, darf die Frage erlaubt sein:

Welche der sogenannten "Klassiker" haben es geschafft, ihre Zeitlosigkeit über die Jahrzehnte hinweg aufrecht zu erhalten?

Die Frage kam auf, als ich jüngst den Western-Klassiker Butch Cassidy And The Sundance Kid (Zwei Banditen) von George Roy Hill sah. Nicht, dass der Film mich schwer enttäuschte oder dass er gar schlecht war, er hat jedoch viel von seiner ursprünglichen Attraktivität verloren, was viele Gründe haben mag. Einer ist sicherlich der, dass nahezu alle Klassiker auch ein filmisches Abbild einer Ära, einer bestimmten Zeit waren, in der sie gedreht wurden, ob es nun den Humor betrifft, die Machtart, die vorherrschende Technik oder gar Sozialkritik. Der Zuschauer entwickelt sich weiter, ändert seine Interessen, die Welt ändert sich, die Sehgewohnheiten ändern sich, die politischen Verhältnisse sind andere, der Blickwinkel wird kritischer, reflektierender, weniger euphorisch, weniger verherrlichend.

Wie also ist die Rezeption eines Klassikers Jahrzehnte nach seiner Uraufführung? Kann er den sich ändernden Zeiten Stand halten? Üben seine einst so gelobten Qualitäten weiterhin einen Einfluss aus?

Diese und andere Fragen können selbstredend nur subjektiv beantwortet werden, wie sollte man Fragen dieser Art mit objektiven Kriterien beikommen. Kunst ist nicht messbar. Insofern ist die mit JAWS beginnende Retrospektive auf Lomax & Deckard auch keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern die kritische Blick eines leidenschaftliches Filmliebhabers.

JAWS

Mit welchem Film sollte man beginnen, wenn nicht mit DER WEISSE HAI, der Film, der zusammen mit STAR WARS die Ära der Blockbuster einleitete, die bis heute anhält.

Sie werden es schon ahnen, JAWS hat, um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, viel von seiner Popularität eingebüsst. Was am Ende blieb, war ein unterhaltsamer, in Teilen spannender Horror-/ Abenteuerfilm mit schönen analogen Bildern und viel Seventies-Flair. Erstaunlich war, dass die Spannung, die zu Beginn, bei den ersten Betrachtungen noch vorherrschte, jetzt kaum noch spürbar war. Das liegt nicht daran, dass man die Schockmomente kennt (tatsächlich mögen diese noch immer zum Teil zu beeindrucken) oder um den Killer aus der Tiefe weiss, sondern sie verpufft beim Anblick der Attrappen. Es ist eine Frage der technischen Möglichkeiten, zum Teil wirken die Angriffe des Monstrums unfreiwillig komisch und gestelzt. Das kann man aber weder dem Regisseur noch den Produzenten ankreiden, der Film war seinerzeit auf der Höhe der Zeit, des Machbaren und entscheidend: Ausgestattet mit einem entsprechenden Budget.

Es liegt aber auch daran, dass es in der Folgezeit unzählige (schlechte) Nachahmer gab und die Art eine solche Geschichte zu erzählen ins unendliche verwässert wurde. Wie dem auch sei, in der Beziehung hat JAWS nicht mehr das Potential und das hat nichts mit dem Alter oder der eigenen filmischen Sozialisierung zu tun. Ein Gegenbeispiel: PSYCHO von Hitchcock schockiert immer noch, es läuft einem kalt den Rücken herunter und das trotz eines verschwindend niedrigen Budgets! Das unterscheidet ein echtes Meisterwerk von einem ... unechten.

Was aktuell erstaunlicherweise faszinierender war als der Hai, ist der ironische Blick von Spielberg auf Menschen, ihr Verhalten und das Dreigestirn Robert Shaw - Richard Dreyfuss - Roy Scheider. Daran sieht man jedoch auch, wie sich die Gewichtung im Laufe der Zeit, die Präferenzen in der Betrachtung von Filmen sich ändert: Suchte man zu Beginn "den Kick", den Horror, die Spannung, so jetzt es jetzt vielmehr der Blick auf das Zusammenspiel der Menschen, ob nun der Versuch alle Vernunft dem schnöden Mammon unterzuordnen, oder aber das Wechselspiel der Charaktere auf dem Boot auf hoher See, der "Hemingway'sche Blick", wenn man so will. In diesen Szenen hat JAWS noch immer seine stärksten Momente und hat seine Zeit überdauert.

Roy Scheider, der Polizist aus New York, der auf einen Neuanfang an der Küste hofft, Verantwortung übernimmt und die Meute (die eigentliche Bestie!) in Schach halten muss.

​​​​​​​Richard Dreyfuss, der aus reichem Haus stammende Universitäts-Absolvent und Meeresforscher, herrlich linkisch von Dreyfuss porträtiert, der fasziniert von der Urgewalt der Natur seinen Schreibtisch verlässt, um mutig auf hoher See sich dem riesigen Tier zu stellen.

And last but not least, der von Robert Shaw furios dargestellte, zynische, aggressive,  versoffene, ehrgeizige und mutige Jäger, der sich des Geldes wegen auf die Jagd begibt.

Wie Spielberg diese drei so grundsätzlich unterschiedlichen Charaktere in einem Boot auf den Ozean entlässt, diese Szenen in der zweiten Hälfte des Films sorgen für einen großen Unterhaltungswert und viele humorvolle Momente. Die wunderschönen Aufnahmen des Kameramannes Bill Butler unterstützen den Regisseur bei seinem Kammerspiel auf hoher See. Männer werden zu Kindern, zu Jungen, die ein Abenteuer suchen. Grossartig gefilmt!

​​​​​​​Über all die Jahrzehnte ist eines geblieben und wird es auch bis in alle Ewigkeit:

Die geniale Filmmusik von John Williams

Das berühmte Thema, das musikalisch in brillanter Weise die Bewegungen des Tieres, sein Herannahen, seine Aggression und scharfen Zähne in Töne übersetzt, ist überragend und schlicht als genial zu bezeichnen! Der Film schuldet seine Spannung, seine Effekte, seinen Horror zu einem ganz grossen Teil der Musik von Williams, auch abseits des Films verursacht sie pure Gänsehaut. In diesen Momenten, aber auch in den Swashbuckler-Sequenzen auf dem Meer und der feinen, fiesen und lustigen Charakterisierung von Touristen zeigt sich, dass hier einer der bedeutendsten und populärsten Filmmusik-Komponisten auf dem Weg zum Ruhm war. Ein Meisterwerk der Filmmusik!

JAWS hat mit den Jahrzehnten, aus meiner ganz persönlichen Sicht, viel von seinem Klassiker-Status eingebüßt. Ein weiterhin guter, unterhaltsamer und bisweilen auch Angst einflössender Film, der aber, und das insbesondere der Technik geschuldet, viel von seinem Horror-Element verloren hat.

So ganz lässt sich das Objektive nun doch nicht umgehen. Liest man bei Wikipedia nach, so soll ein Klassiker folgende Merkmale aufweisen, die nicht alle zutreffen müssen:

Lange überregionale Bekanntheit: JA.

Hoher Wiedererkennungswert: Film: Musik: JA.

Hohe Qualität: NEIN.

Innovationspotential: JA.

Einfluss auf die Kultur: Auf die Filmkultur: JA.

Daran sieht man bereits wie groß die Divergenz zur eigenen Anschauung unter bestimmten Maßstäben sein kann! JAWS überzeugt auf voller Länge.

Es stellt sich bei einer solchen kritischen Betrachtung zum Schluß auch immer wieder die Frage, ob man es nicht bei seinen Erinnerungen belassen sollte? Sind die Kindheits- und Jugenderinnerungen nicht auch mit einer gewissen Magie verhaftet? Warum diese zerstören?

Ich bin mir über diese Frage noch nicht ganz im Klaren.

Lustigerweise habe ich auf unserem Blog erst nach dem Abfassen dieser Besprechung den weiter unten gelisteten Beitrag von Alan Lomax gefunden! Hoch interessant, lesen Sie bitte seinen Beitrag parallel!

 

Bleiben Sie dran.

In Kürze folgen Reflexionen zur MAD MAX-Trilogie von George Miller und THE BIG LEBOWSKI von den Coen Brüdern.

Ausserdem eine Besprechung zu der (furiosen) 2. Staffel von STAR TREK: DISCOVERY auf NETFLIX und AVENGERS: THE ENDGAME.

Auf der Jagd nach dem verlorenen Geschmack,

Rick Deckard

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