In Gedenken an Milos Forman

von Rick Deckard  -  22. April 2018, 19:22  -  #Filme

Bildquelle: ZDF

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Es gab in der eigenen Sozialisation, in der Entwicklung der Leidenschaft für das Kino, einen Bruch. War der Beginn der Zuneigung geprägt von großen Epen und der goldenen Ära Hollywoods, so tat sich mit den Filmen der 70er Jahre eine Ära auf, die am Anfang zu Unverständnis führte: Kein Pathos, keine Romanzen, keine Helden. Das war schwer verdauliches Kino, v.a. weil Hollywood vorher einen durch moralinsaures Saccharin gerührt hatte.

Dann kam Milos Forman und mit ihm einer, der über das Kuckuck's Nest flog.

In Gedenken an Milos Forman

Obwohl ich den Film in all seinen Zusammenhängen beim ersten Sehen nicht verstand, hinterliess er einen ungeheuren Eindruck. Der Film unterschied sich von bisher allem gesehenen aus einem einzigen Grund: Er regte fortwährend zum Nachdenken kann. Der Archetyp des Rebellen, der sich gegen das Establishment auflehnt, erfuhr durch Forman eine ganz andere, noch nie gesehene Färbung. Es gab Montgomery Clift und James Dean, später Paul Newman, doch das, was Nicholson und Forman hier zeigten, insbesondere die versteckten und zweideutigen Anspielungen, suchte seinesgleichen. Es bedurfte mehrerer Anläufe, um die Absichten des Regisseurs zu verstehen.

Als die mentale Kruste aufbrach, kam ein schimmerndes Juwel des Kinos zum Vorschein. Einer flog über das Kuckuck's Nest wurde nicht nur zum persönlichen Klassiker, sondern zu einem der beliebtesten Filme aller Zeiten. Die Geschichte des aufsässigen "Patienten" einer psychiatrischen Klinik und seiner Mitgefangenen, samt des legendären "Indianers" erreichte Kult-Status. Mit welcher Vehemenz und Bildgewalt Forman gegen Unterdrückung, gegen Konformismus und gegen Unterdrückung von Freiheit und Meinungsfreiheit anging, erschütterte das eigene Bild vom Kino und Film. Nicholson war es auch, der das Feuer für die Schauspielkunst erneut anfachte und seine Performance sucht seinesgleichen. Was für ein glückliches Zusammentreffen zweier grosser Künstler!

Jack Nitzsches eindringliche und kongeniale Musik, die Kamera von Haskell Wexler und Bill Butler, das famose Drehbuch von Bo Goldman und Lawrence Hauben und nicht zuletzt der Mut eines Michael Douglas (!) zusammen mit Saul Zaentz diesen Film zu produzieren - sie alle einschliesslich des genialen Regisseurs katapultierten die Leidenschaft für das Kino in ganz andere Bahnen.

Ein Satz aus dem Film und die damit verbundene Handlung blieben für immer im Gedächtnis haften:

"Ich habe es wenigstens versucht!".

Das Meisterwerk eines grossen Regisseurs.

In Gedenken an Milos Forman

Doch diese "Provokation" allein reichte nicht. Es wurde noch heftiger und noch schwerer. 1984 brachte Forman mit Amadeus einen Kracher auf die Leinwand, der mich mental einen Rückwärts- und Vowärts-Salto mit Pirouette vollführen liess.

Das soll Wolfgang Amadeus Mozart sein? Dieser infantile, sich der Fäkalsprache bedienende Punk? Skandal! Blasphemie! 

Das war das zweite Mal, dass Forman meine Grundfeste erschütterte. Aufgewachsen mit Mozart und seiner Musik, seiner Genialität und seiner unbeschreiblichen Gabe durch Musik zu kommunizieren, mit solchen Prämissen kam Amadeus einer Gotteslästerung gleich. Aber manchmal muss man Menschen mit einem Hammer treffen, um sie erreichen zu können. Sagte das nicht John Doe in David Fincher's Masterpiece SE7EN?

Es bedurfte auch hier einiger Zeit und Muße sowie mehreren Durchläufen, um die Absichten des Regisseurs erkennen und deuten zu können und er näherte sich mit Amadeus (nach dem gleichnamigen Theaterstück) einem zeitlosen Thema an: Warum sind Begabungen so unterschiedlich verteilt? Diese Frage nährt auch das Bedürfnis des Menschen nach der Frage der Gerechtigkeit. Warum ist das Leben so ungerecht?

Dieses Spannungsfeld wird schauspielerisch wunderbar austariert durch das Spiel von Tom Hulce, dessen jungenhafter und infantiler Charme begeistert, und durch das von Neid zerfressene Handeln seines Kontrahenten Salieri, ebenso brillant verkörpert von F. Murray Abraham.

Und die Musik? Was soll man dazu noch sagen ... ?

Grandioser Film.

 

Der 1932 in Caslav geborene tschechoslowakisch-amerikanische Regisseur Milos Forman verstarb am 13. April 2018 und mit ihm ging einer der letzten grossen Regisseure einer Ära, die es im Kino nie wieder geben wird. Regisseure mit einem solchen Mut und einer so großen Leidenschaft sind rar gesät, wenn überhaupt noch gegenwärtig.

Umso mehr betrübt das Ableben dieses Künstlers, der uns stets mit seinen Filmen daran erinnert, was das Kino neben Unterhaltung auch sein kann: Kunst.

Der Inhalt des folgenden Zitates könnte aktueller nicht sein:

"And everything is controlled and everybody is a member of some committee, because then their watchdogs placed in the committees can control everything, what this person says or how this person think(s), you know." 

Milos Forman
 

Rick Deckard

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