LIT.COLOGNE – Michael Chabon 13.03. und Michael Haneke 14.03.
Zum 18.Mal findet derzeit das Literatur-Festival LIT.COLOGNE statt. Das Konzept des Festivals ist einfach: Es werden meist sehr prominente Vertreter der deutschen Kultur-, Film- und Fernsehbranche verpflichtet, die mit weniger prominenten Kulturvertretern in einen thematischen Diskurs gehen oder es gibt klassische Lesungen von internationalen Autoren und Kulturschaffenden.
Diese meist durch das Wort geprägten Veranstaltungen finden in den schönsten Locations der Stadt, zu sehr hohen Eintrittspreisen statt, die aber gerne bezahlt werden, da die Kernzielgruppe dieses Festival es sich leisten kann. Auch wenn sie wie im Fall, des Michael Chabon Abend, frühzeitig des Saales verwiesen werden.
Überhaupt ist das Publikum das schlimmste, welches man sich neben Besuchern von sehr prominenten Museumsausstellungen vorstellen kann. Früher gab es mal das schöne Wort des BILDUNGSBÜRGER. Einer Bildungsschicht die humanistische Bildung für sehr wichtig erachtet, dabei aber oft vergessen hat, dass temporäre Kunst, sich aus popkulturellen Subtexten entwickelt hat und Prosperität mit einem Theater- oder Konzertabo verwechselt hat.
Heute kann man dieses Submilieu daran erkennen, dass sie häufig die ersten sind, die nach Konzerten oder Aufführungen genervt am Parkautomaten stehen, gerne einen kulturellen Abend mit einem Essen, welches natürlich vegan oder vegetarisch oder zumindest „slow“ (aber schnell serviert, damit man pünktlich auf den vorreservierten Sitzen Platz genommen hat) sein sollte.
Auffällig sind meist auch die Gespräche in den Pausen, da diese Randgruppe oftmals einen eigenen Terminus für die kritische oder euphorische Besprechung der Aufführung gefunden hat. Und zum Beispiel bei der Erwähnung, dass der Autor und Drehbuchschreiber Chabon maßgeblich an dem Drehbuch zu SPIDERMAN II beteiligt war, nur ein mildes, abfälliges und kurzes Lachen übrig hat, weil sie eben keine Ahnung von Comickultur haben, obwohl Chabon mit DIE UNGLAUBLICHEN ABENTEUER VON KAVALIER & CLAY eines der wohl schönsten Bücher über die Entwicklung der Comics geschrieben hat und damit einer ganzen Generation und Kunstform eine Stimme verliehen hat.
Vielleicht ist es dann auch ein Zufall oder eine unbekannte Bürde für den amerikanischen Schriftsteller MICHAEL CHABON der in der VOLKSBÜHNE AM RUDOLFPLATZ auftritt, welches natürlich nichts anderes ist, als das ehemalige MILLOWITSCH-THEATER. Wer diesen Blog hier häufiger liest, weiß, dass ich ein Liebhaber des Boulevard-Theaters bin. Auch beim Film neige ich ehr zur leichten Muse, als zum ARTHOUSE Melodram. Und so kommt mir die Lesung des sehr angenehmen Pulitzer-Preis-Trägers Chabon sehr gelegen. Und obwohl ich gar nicht mal so viel von ihm gelesen habe, wird mir schnell klar, dass es die Fiktion des Nicht-Fiktiven ist, welches mich anleitet, bei Chabon zu bleiben und nebenher versuche den unerträglich selbstverliebten Moderator Bernhard Robben zu ignorieren und den schlecht stimmigen Schauspieler Sylvester Groth zwar zu zuhören und wegen seiner Motivation die Veranstaltung kultiviert im Foyer zu beenden (aus unerklärlichen Gründen, wurde der Theatersaal um 22:00 Uhr geräumt) zu schätzen, aber doch festzustellen, dass es die Seelenverwandtschaft zum Künstler ist, die ich am meisten schätze.
Der Mann ist ca. Mitte 50 Jahre alt, ist jüdischer Abstammung (was ein wichtiger Aspekt in Amerika ist um seinen Witz und seine Geschichte darzustellen. Außerdem ist es ein wichtiger Parameter für den aktuellen Roman MOONGLOW) und wuchs in Columbia auf.
Auf dem Weg zum weltweit gefeierten Autor, sozialisierte sich der junge Chabon nicht mit Hochkultur, sondern mit Comics, Cannabis und Popmusik. Hier bereits fängt die Entfernung zum LIT.Cologne Publikum an. Ich kann nur vermuten, dass ca. 92 % der Zuschauer um mich herum, nicht einmal ein DC oder MARVEL Comic gelesen hat. Vielleicht haben sie wenigsten SALINGERS FÄNGER IM ROGGEN verstanden oder dann doch mal ein Buch von Fitzgerald gelesen, um überhaupt auch nur ansatzweise einen Connect zur amerikanischen temporären Kultur gehabt zu haben.
Klammern wir WONDER BOYS einmal kurz aus, weil sich sowieso niemand an die ebenso tolle Verfilmung von CURTIS HANSON erinnern kann, der ja auch das Meisterwerk L.A.CONFIDENTIAL und EMINEMS 8 MILE verfilmte.
Nun können Sie mir (wie immer) eine gewisse Arroganz vorwerfen. Aber ich kann nicht verstehen, dass diese affektierten Bildungsbürger mit dem wundersamen Buch DIE UNGLAUBLICHEN ABENTEUER VON KAVALIER UND CLAY vor dem Autogrammschreibtisch des MICHAEL CHABON stehen und sich seine Signatur in ihr Buch geben lassen, welches ja nun in der goldenen Zeit des Comics spielt und auch mit einem Humor spielt, der ein tiefsinniges Vergnügen für das Genre voraussetzt. Und denken wir weiter in Absurditäten: Wer von diesen Menschen zwischen schlechter Garderobe und triefenden Kulturfaschismus hat hier wohl SPIDERMAN 2 gesehen, an der Produktion CHABON maßgeblich beteiligt war?
Verstehen Sie, ich gehe ja auch nicht zu einer Diskussion über Israel oder Syrien und habe keine Meinung bzw. Vorkenntnisse. Und auch nicht zu einer Lesung über HANS FALLADA, ohne mich jemals mit gesellschaftskritischen Themen auseinander gesetzt zu haben oder zumindest DER TRINKER gelesen zu haben. Wie soll das also mit popkulturellen Themen gehen, die von diesen Menschen hier heute Abend weitestgehend abgelehnt werden?
Letztendlich stirbt jeder für sich allein bzw. ist sich seines Glückes Schmid. Sinnfragen übertragen auf andere Menschen enden leicht im Shitstorm und bei der Arroganz dieser, die meine Fragestellung hier zwischen den Zeilen nicht verstehen und niemals korrekt und ehrlich beantworten würden. Ich kenne das bereits seit Jahren, seit dem ich diesen Blog schreibe. Hassen ist einfacher, als zu Bewerten. Verurteilen einfacher als beurteilen. Und grämen Sie sich nicht, dies ist keine Provokation an Sie, sondern ein Aufruf an uns alle!
Michael Haneke Klaus-von-Bismarck-Saal WDR 14.03.2018
Der Regisseur Michael Haneke hat 2012 einen Film über das Sterben (AMOUR) gedreht. Anschließend fragten ihn die Journalisten, wie er sich persönlich bei dem Thema verhalten würde. Mehrfach antwortete er, dass es darum ja überhaupt nicht geht, was der Regisseur bzw. Autor denkt, sondern, dass sich eben die Zuschauer diese Frage selbst stellen sollten und eine Gebrauchsanweisung vom Autor kontraproduktiv ist.
Im Vorfeld des gestrigen Abends habe ich mir viele Gedanken gemacht, was ich den Meisterregisseur fragen würde? Ein gedanklicher Vorschlag, wäre die Frage: „Warum er sich nicht traut eine eindeutige Aussage zu treffen? Wovor haben sie Angst?“ Dann aber fand ich das etwas provokant. Kumpel, Mitstreiter und Filmkritier Rick Deckard, antwortete klug auf meine Frage: „Wieso? Er provoziert und doch mit jedem seiner Filme. Gleiches Recht für alle!“. Nun gab es gestern keine Fragerunde für die Zuschauer, aber das rund neunzig Minuten lange Gespräch zwischen Michael Haneke und dem Journalisten Knut Elstermann brachte dennoch die Antwort hervor, denn Haneke kennzeichnete sich als Autor und Mensch und nicht als Analyst seiner selbst.
Und so versteht er auch die Sicht seines Publikums, in dem er Mitstreiter sieht, die ähnliche Frage haben wie er selbst und somit bestenfalls eine Solidarität zwischen Zuschauer und eben dem Autor entsteht. Zwischen ihm, der auch nicht alles weiß und den Betrachtern der Tragödie. Dabei positioniert er sich ganz klar und strikt als Autor und eben auch als Autorenfilmer, der am liebsten gar nicht über seine Filme und Geschichten sprechen möchte, da er auch so wieder Interpretation zu stark vorgibt. „Aber ab und zu lasse ich mich auf ein Gespräch ein, wie heute und es wird ja auch bezahlt“, sagt er dann belustigt und unterhaltsam.
Weshalb gehen Menschen zu solchen Veranstaltung und bezahlen 40 EURO dafür, dass sie einem schlecht vorbereiteten, zwar euphorischen Filmkritiker (Elstermann) und einem europäischen Autorenfilmer („Kunstfilm und Arthouse als Ausdruck hasse ich“ Haneke) anderthalb Stunden bei einem Gespräch zu hören. Die Frage habe ich bereits oben aufgeworfen, aber ich tue es nun nochmal weil es mir gestern klar geworden ist: Die Leute kommen entweder, weil sie gerne einmal „ihre Helden“ sehen möchten und die Gelegenheit wahrnehmen, diesen einmal eine lange Zeit für sich zu haben, zu zuhören und diesen beobachten zu können oder sie sind neugierig auf etwas neues, möchten vielleicht ihre bisherige Kenntnis über einen Autor ausbauen und neue Inspirationen bekommen. Und tatsächlich ich gebe zu, dass diese beiden Ansätze gestern Abend gelungen sind.
Denn Haneke ist durchaus kein Wolf unter Wölfen, sondern eben der überlegene, irgendwie schon eitle, aber auch humorige, niemals unangenehm, eben aber auch dominierende Regisseur und Mensch, dem man sicherlich alles fragen kann, aber dann eben auch unbequeme Antworten bekommt, weil er ein Intellektueller Dramatiker ist. Der sich aus diesem Grund für jede Geschichte und jeden Menschen aus beruflichen Gründen interessieren muss, aber eben auch zeitgleich eine kritische Gesinnung benötigt. Eine logische und empathische Antithese in einem.
Haneke ist unterhaltsam und man hört ihm mit seinem Wiener SingSang gerne zu. Er spricht als Gelehrter, so dass ihn jeder verstehen kann, wirkt kaum überheblich, ist sich aber seinem außerordentlichen Werk und der Fähigkeit seine Kunst fähig und konkret auszuüben sehr bewusst.
Leider wurde etwas wenig über seine Filme gesprochen und mehr über seine Zeit als Redakteur beim Südwestfunk, seiner Arbeit als Professor auf der Filmakademie Wien mit Studenten und seinem Leben in der Nachkriegszeit als Sohn eines Schauspielers (Fritz Haneke) und der Burgschauspielerin Beatrix Degenschild.
Für mich persönlich ist Michael Haneke der interessanteste europäische Regisseur. Insbesondere auch weil er mit seiner Hardliner-Meinung, dass fast alle Filme aus den USA Schrott sind eine gewagte Eindimensionalität ausspricht und er sich sowieso nur für Autorenfilme interessiert. Somit stellt er für mich, als ein Kinoliebhaber der viele Frage stellt, einen notwendigen Gegenpol zu meinem geliebten amerikanischen Kino dar.
Über das Genius und seiner unglaublichen Fähigkeit eine Geschichte zu konstruieren und diese auf eine einzigartige Art und Weise zu verfilmen, muss an dieser Stelle nicht berichtet werden.
Letztendlich war das gestern Abend, ein wirkliches Highlight und für einen Fan und Verehrer des Kinos von Michael Haneke natürlich ein einzigartiges Geschenk, welches ich kaum in Worte fassen kann, wenn man sich auch gewünscht hätte, dass Gespräch selbst zu führen oder einfach einen gleichwertigen Gesprächspartner eingeladen: …und nicht einen durchschnittlichen Filmkritiker genötigt hätte, der zu dem auch noch schlecht vorbereitet war und den Regisseur mit etliche faktische Fehler konfrontierte.
Zusammengefasst muss man sagen, dass diese Lit.Cologne Veranstaltungen zu teuer und dafür zu schlecht vorbereitet sind. Moderatoren sollten besser ausgesucht und gebrieft werden. Dabei muss sollte Ihnen vermittelt werden, dass nicht sie im Mittelpunkt* stehen sollen, sondern der Autor bzw. Künstler. Sicherlich wäre der Einwand, dass im besten Fall eine Einheit, ein synergetisches Gespräch entsteht, aber dafür müssen solche Abende einfach besser kuratiert werden!
Aus der Hölle des Bildungsbürgertums
Alan Lomax
*…zur Erklärung: Nach den Veranstaltungen auf der Lit.Cologne finden auch Signierstunden statt. Die Lit. Cologne ist eine kommerzielle Veranstaltung die auf jegliche Fördergelder der Stadt Köln verzichtet. Das muss sich finanzieren. Somit darf der Hauptsponsor THALIA Bücher der Protagonisten des Abends verkaufen! Merkwürdig wird es dann aber, wie im Fall gestern, dass die Bücherstapel von Knut Elstermann größer waren, als die von Haneke!