ALVVAYS – Köln 27.02.2018 – Gebäude 9

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  28. Februar 2018, 11:44  -  #Konzerte, #Populäre Musik

ALVVAYS – Köln 27.02.2018 – Gebäude 9ALVVAYS – Köln 27.02.2018 – Gebäude 9
ALVVAYS – Köln 27.02.2018 – Gebäude 9ALVVAYS – Köln 27.02.2018 – Gebäude 9

Es gibt diesen einen Moment in dem Song IN UNDERTOW  den Zuhörer und Musiker gleichsam untersterblich macht und zwar wenn Molly Rankin im dritten Verse von TIME TO LET GO in den Chorus THERE’S NO TURNING überleitet. Aufmerksame Menschen werden beobachtet haben, wie sich die Sängerin von ALVVAYS auf diesen wunderbaren Moment konzentriert. Die kanadische Band ALVVAYS hat viele solcher Momente. Und eben genau das unterscheidet sie von vielen anderen zeitgenössischen und klassischen Vorlagen.

Seelig, harmonisch, leicht druckvoll, setzt die verzerrte Gitarre wiederum im ersten Chorus von ONE WHO LOVE YOU ein, während Molly WHEN LIGHNING STRIKES, I WILL BE ON MY BIKE, I WONT BE STUCK INSIDE, I WILL BE TAKING FLIGHT, unsagbar charmant, intoniert und später in der Bridge mit jedem wegfliegt der verfickt nochmal sein Gesicht nicht mehr spürt (YOU CANT FUCKING FEEL YOUR FACE).

ALVVAYS, am gestrigen Abend, erinnern an viele andere Bands. Da wird dann auch logischer Weise während der Zugabe ein Song von ELASTICA geboten, der BLUE heißt.  Wer sich noch erinnert: Sängerin Justine Frischmann, war Anfang der 1990er Jahre mal so etwas, wie die „First Lady des Britpop“ und mit Brett Anderson an der Gründung von SUEDE beteiligt. Das alles passt künstlerisch sehr gut zu dem monochromatischen und schwermütigen PARTY POLICE am Ende des offiziellen Sets, einem minimalistischen Wunder mit fettem Wiedererkennungswert, den Molly Rankin mit wundervollster Kopfstimme, kleinmädchenartig vorträgt und dabei im vollen Bewusst weiß, dass SIE derzeit wohl das niedlichste und artigste RIOT-GIRL der Welt (First Lady) ist. Die Kontradiktion aber ist, dass Molly das bestimmt nicht will und dies somit selbstverständlich ohne Wort erklärt, aber am Ende des Songs doch so viel mehr will, bevor sich das alles gedankenweltlich im Smog der Orgel und der Charakterisierung der Melodiebewegung springend verliert, dann dieses Gestaltungsmittel doch nutzt, welches ihr und uns sagt, es ist egal!  

Das Gebäude 9 ist ziemlich voll und die Zuschauer sind angenehm entrückt bis verzückt von dem, was ihnen dort knappe 70 Minuten geboten wird.  Das liegt natürlich auch an der natürlichen Erscheinungsform der Band, die charakteristisch an ehr sparsam instrumentierte Gitarrenbands wie THE FEELIES, The Pastels oder The Sundays erinnern und an der natürlichen defensiv vorgetragenen Antihaltung gegenüber einfach allem, was nicht im Kosmos von ALVVAYS ist. Würde und Erhabenheit, ohne Eitelkeit, dass ist die schöne Summe dieser Erkenntnis, wobei  für mich persönlich diese schon fast zärtliche Schüchternheit gegenstandlos ein Mittel zum Zweck der Provokation sein kann.

Wissen Sie? Seit dem ich diese Band entdeckt habe und auf diesem Blog vor ein paar Wochen auch das erste Mal über ALVVAYS geschrieben hatte, bin ich verliebt. Ich mache da keinen Hehl daraus, werde aber auch nicht zum Stalker. Ich behalte es förmlich für mich! Die langen und häufig wiederholten Videosessions auf youtube mit MOLLY RANKING und der Band, u.a. bei den empfehlenswerten Live-Sessions auf KEXP haben viel dazu beigetragen, wie ich diese Musik verstehe. Und auch in echt ist MOLLY RANKING genauso außerordentlich hübsch, faszinierend und passend zu dieser Zeit. Desto unfassbarer irritiert bin ich auch selbst, wie sehr eine Band, einen alten Mann, wie mich, niederschlagen kann. Kraftvoll, verträumt, mit kaum zu erklärenden Momenten des Glücks.

Der „Standard“ aus London war nicht so begeistert und hat die Band eben anders und unreflektiert gesehen. Schreibt aus dieser Perspektive dann auch von „lack of ambition“.

Und sie werden sich jetzt wohl fragen, weshalb ich den Autor verstehe!? Nun es setzt eine gewisse Empathie voraus, aber es ist genau der Grund, weshalb ich immer noch so eifrig schreibe. Es geht auch um Perspektivwechsel.

Wir Menschen die noch immer an das Gute und Wahrhaftige glauben werden häufig verzerrt dargestellt. Selbst das ist nachvollziehbar! Denn sind wir doch mal ehrlich (Mann!). Wir stehen vor einer Bühne, hören einem hübschen Mädchen beim Singen zu und bezeichnen das als DREAMPOP oder beleuchten ihre Musik, ausschließlich aus zwei Gründen: Weil es Spaß macht und weil wir uns der Musik als persönliche Definition noch immer hingeben, in Zeiten wo Andere (unabhängig vom Alter!) noch nicht mal mehr das Wort Mythos in der Popmusik schreiben können oder einen Wahrheitsanspruch an eine Band haben. ALVVAYS erinnern mich daran, wie es einmal war, für solche Bands täglich und gegen jeglichen anderen Einfluss zu kämpfen. Und das ist wichtig für mich…

In Undertow

Alan Lomax

Nachtrag: Die vielgelobte Vorband SPINNING COIN aus Glasgow, konnte die Erwartungshaltung übrigens nicht bestätigen. Haltung, Sympathie, gute Supports bei TEENAGE FANCLUB und REAL ESTATE, Produziert von EDWYN COLLINS und in Deutschland auf dem sympathischen Label DOMINO RECORDS erschienen müssten eigentlich auch den durchaus schönen Gitarren-Pop tragen, aber an diesem Abend stimmte leider gar nichts bei den Schotten. Schlimmer, verkorkster Auftritt! Schade!

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