Primal Scream – Köln, 17. Juni 2017 Gloria
Ich stelle mal mutig die Annahme auf, dass mir jeder der 700 Zuschauer die am Samstag im Gloria PRIMAL SCREAM gesehen haben, diese Konzertkritik um die Ohren hauen werden, wenn ich schreiben würde, dass dies eines der ersten Oldie-Konzerte unserer Generation gewesen sein könnte, wenn da nicht dieser Bobby Gillespie wäre.
Seit ein paar Jahren sind sie alle wieder da auf den Festivals und Bühnen der Städte und Dörfer. Slowdive, My Bloody Valentine, Ride, Suede, The Jesus & Mary Chain und wie sie alle heißen. Für Menschen die sich inzwischen durchschnittlich seit 30 Jahren mit Pop- und Rockmusik beschäftigen, oftmals ein Ritt in die eigene Vergangenheit und vielleicht auch Bestätigung, dass man schon damals auf das richtig Pferd gesetzt hat. Für andere jüngere und inzwischen ja auch Folgegeneration genannt, die begeisterungsfähig bzgl. Musik sind, mit staunenden Ohren und Augen versehen, was es „früher“ für großartige Musik gab und wie cool diese Typen wie Brett Anderson, Bobby Gillespie oder Kevin Shields dieser Welt einmal gewesen sein müssen oder eben noch sind.
Wobei! Es für die letztere Gruppe sicherlich schwer sein wird, all die Puzzleteile zu entwirren und schließlich Zusammen zu setzen, um zu verstehen, dass Wave, Rock, Elektro, Shoegaze, Pop, Soul, Disco, Rap etc. damals nicht immer unbedingt gleichberechtigt nebeneinanderstanden, sondern sogenannte „gelebte“ Subkulturen und somit viele von uns, strikte Genres hatten, die nicht überschritten wurden.
Somit wäre es zum Ende der 1980ziger, Anfang der 1990ziger Jahre z. B. undenkbar gewesen, dass es Festivals gegeben hätte, auf dem z. B. Electroacts wie MODERAT (hätte es die damals schon gegeben), neben PRIMAL SCREAM, SLOWDIVE und KATE TEMPEST (MAIFELD DERBY) aufgetreten wären. Wer mir das Gegenteil beweist, bekommt ein Katzenquartett geschenkt.
Worauf ich hinaus will: Es sind Bands wie PRIMAL SCREAM, die es mit einem Jahrhundertwerk wie SCREAMADELICA, geschafft haben, einer wenig zur Fusionierung neigenden Zuhörerschaft, den Zugang zu viel mehr zu verschaffen, weil sie so vieles Zusammengebracht haben und damit so viel möglich gemacht haben und vielen Einäugigen damals erklärt haben, dass Musik mehr ist, als eine Sparte aus England. Alleine die Idee für die eine Version von A DUB SYMPHONY IN TWO PARTS den begnadeten JAH WOBBLE hinzuholen, der damals schon keine Hemmungen hatte für CAN und PiL Musik zu machen, aber eben auch für PETER GABRIEL oder THE ORB und somit bei der Nummer damals vermuten lies, was in der Popmusik der kommenden 20 Jahre noch möglich ist.
Und somit ist die Annahme, dass dies eines der ersten Oldiekonzerte unserer Generation war, zwar gemein und polemisch, aber auch nicht ganz falsch! Insbesondere, wenn man irgendwann doch von seinen Ikonen überrannt wird, wie es PRIMAL SCREAM derzeit passiert und ich es zum Ende hin erlebt habe! Denn was ist ein Oldiekonzert? Ein Oldiekonzert ist, meist von einem Radiosender organisiert, ein Konzert, auf dem Bands, der späten 1960ziger, bis frühe 1970zigere auftreten. Und zwar sind das meist Bands, die bezahlbar sind und lange nicht mehr im künstlerischen Fokus standen: Suzie Quatro, Mungo Jerry, Sailors oder Sweet, meine ich zum Beispiel. Musik eben, die unsere Eltern gehört haben, wenn es dann nicht noch schlimmer war.
Die Stones und Beatles werden gerne als Benchmark für diese Generation genommen. Gehört hat die aber damals keiner von denen (auch wenn es soviele behaupten), da beide Bands viel zu progressiv und unerreichbar für viele des damals überwiegend aus der bürgerlichen Mitte stammenden Hörer waren! Dennoch haben sie überlebt,wenn auch in leicht mythologisierter Form. Eben auch wie viele andere Bands die nicht auf Oldie-Festivals spielen oder in Ranking-Shows auftreten, sondern ein künstlerisches nachhaltiges bedeutendes Werk haben. Wie z. B. Brian Wilson oder eben, die kürzlich für das PRIMAVERA SOUND FESTIVAL reaktivierten ZOMBIES! Merkwürdig davon sprechen aber weder die Oldie-Fest-Besucher, noch die ach so besseren Beatles oder Stones Hörer, die doch ehrlich gesagt schon versagen, wenn man sie nach Buddy Guy oder Stockhausen fragt, der massgeblich das beste Beatles Album REVOLVER beeinflusste.
Ist man böse könnte man auch Oldie-Festivals der 1980ziger und 1990ziger organisieren und die Bands spielen lassen, die es mit einem Hit oder zweien in die Charts schafften, aber bedeutungslos geworden sind und ich nenne mal zur Provokation bewusst musikschaffende wie MARILLION, THE WOODENTOPS oder AZTEC CAMERA (ja gut meinetwegen als Headliner).
Leider sind mir PRIMAL SCREAM von VANISHING POINT bis zum letzten Album CHAOSMOSIS (2016) abhanden, gekommen. Das fast leichte sehr Elektronica-Lastige und poppige CHAOSMOSIS hatte mir gut gefallen, weil es sich nach Spaß, Leichtigkeit und New Order anhört. Man muss nur erwähnen, dass die amerikanische Sängerin SKY FERREIRA, die Damen von HAIM und PETER BJORN und JOHN von PETER BJORN und JOHN (der kleine Spaß muss erlaubt sein!) dabei waren, um zu verstehen, dass die nicht zur Unterstützungen geholt wurden, sondern um einen Schritt in Richtung Altersmilde zu unternehmen, vielleicht noch einmal hin zum euphorischen Popsong.
Leider beinhaltete die Setlist vom Samstag mit 100% OR NOTHING, (FEELING LIKE A) DEMON AGAIN und TRIPPIN ON YOUR LOVE nur 3 Songs des letzten Albums. Oder muss man: „Gott sein Dank“ sagen, weil das gesamte Repertoire ja so vielfältig ist? Ist es nämlich nicht! LOADED, COME TOGETHER und selbst das gefällige STAR hören sich heute leider ziemlich durchschnittlich an.
Denn, hat sich der körpereigene und bierseelige PRIMAL SCREAM-Herzenswärmer erstmal selbst runter gepegelt, bleibt viel breiiger und lärmender Rock a la Wood/Richards übrig. Was vielleicht auch an der gar nicht mehr so coolen Band liegt, mit der der anfangs leicht gelangweilte, zum Schluss dann aber doch von sich und dem Publikum überzeugte Sänger immer noch unterwegs ist. Anrew Innes und Martin Duffy könnten dem Aussehen und der Perfomance nach inzwischen auch bei Genesis oder eben den genannten Oldiebands spielen, die etwas jüngere Bassistin Simone Butler macht noch einen besseren Eindruck und vom Schlagzeugstil des Schlagzeugers möchte ich ehrlich gesagt nicht sprechen, um es nicht noch schlimmer zu machen, als es vielleicht doch gar nicht war!
PRIMAL SCREAM sind trotz Potenzial und gelungen Ausflügen und Experimentierfreudigkeit leider nicht über den klassischen Rock der Rolling Stone hinausgekommen. Bobbie Gillespie ist ein echter Popstar und „cool as fuck“. Aber was nutzt das wenn man langsam aber sicher den Weg ins Festzelt der britischen Musikgeschichte einschlägt und vielleicht doch irgendwann einmal COUNTRY GIRL Playback singen muss. Und bleiben wir ehrlich, Mick Jagger wird das nie tun müssen!
Pass auf Dich auf BOBBY! Es ist ja alles nur eine Annahme! Die ersten üblen Tendenzen sind aber erkennbar!
Aus einer wunderschönen Zukunft und mit viel Respekt gegenüber allen genannten Bands...
Alan Lomax