Hannover 96 – Giù la testa / Eine kurze Geschichte über das würdevolle Scheitern!
„Kopf runter!“, sagt der Italiener gerne im Sinne von „Zieh den Kopf ein!“ Eine treffende Aussage, wenn man Hannover 96 Fan ist, wie ich es bin! Plötzlich, „unerklärlich und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden“, verliebte ich mich in den Verein in der Saison 1975/1976, als 96 den Ex-Nationalspieler Klaus Wunder von Bayern München holte.
In Wirklichkeit erinnere ich mich daran aber nicht mehr und außerdem ist das reißerische Zitat aus Nick Hornby‘s, einzigen wirklich wahren Fußballbuch, „Fever Pitch“ gestohlen!
Aber ich erinnere mich daran, wie ich mit meinem Vater in der Südstadt von Hannover, an einem völlig verrauchten, biergeschwängerten Tresen saß und mir ein Bayern-Fan seine ca. 2 m x 2 m große Bayern München schenkte.
Wahrscheinlich hatte der Mann Mitleid mit mir und mit Klaus Wunder. Dabei ging es mir gut! Mein Vater hatte mir gerade eine Currywurst mit Pommes bestellt, ich trank eine Sinalco und die Welt war in Ordnung. 96 hatte mal wieder verloren, der erneute Abstieg in die Zweite Bundesliga stand bevor.
Ab Mitte der 1970ziger Jahren war ich mit meinem Vater bei jedem Heimspiel im Niedersachsenstadion. Wissen sie, dass hört sich jetzt schöner und romantischer an, als es in Wirklichkeit war! Denn man stand als heranwachsender zwischen älteren Herren in schweren Mänteln, die unangenehm rochen oder man wurde eingenebelt von Zigarren und Zigarettenqualm. Gesehen habe ich nichts! Die Tribüne war damals nicht überdacht und Pommes & Co. gab es auch nicht.
Aber das Niedersachsenstadion hatte einen Polizeiturm. Und dort arbeitete mein Onkel! Ich konnte ihn immer sehen, weil er dort vom Balkon aus, mit einem großen Funkgerät seine Kollegen koordinierte. Und meist war mein Onkel, der Einzige, den ich außer Mänteln und Tabaknebel wahrgenommen habe. Manchmal hat er mir zugewinkt.
Ich bin sowas etwas wie ein Nesthäkchen in meiner Familie. Fußball fand damals zwischen meinem Vater und meinem älteren Bruder statt, ich war nicht in der Kommunikationslinie. Mein älterer Bruder, spielte auch bei Hannover 96 in der Jugend, später beim TSV Havelse und wurde damals häufig als Balljunge eingesetzt. Glaube ich zumindest, ich konnte ihn ja nicht sehen! Und obwohl mein Vater mich immer mit ins Stadion geschleppt hat, ich bis heute treuster Fan der Roten bin und sogar meinen kleinen Sohn diese Tradition übergeben habe, hat es mir mein Vater nicht verziehen, dass ich nach Köln gezogen bin. Noch heute blockt er Fußballgespräche über 96 schnell ab und sagt beiläufig Dinge wie z. B. „…beim FC läuft es ja auch nicht so gut“ oder „gut, dass IHR(?) diesen Modeste habt“. Ich habe mich nie für den FC Köln interessiert. Ich glaube mein Vater kann sich nicht vorstellen, dass man in einer anderen Stadt lebt und trotzdem zu dem Verein hält in den man sich als kleiner Junge verliebt hat. Ebenso realisiert er nie, wenn mein Sohn oder ich ihm erzähle, dass wir in Bochum oder Düsseldorf beim Auswärtsspiel von 96 waren oder das Spiel auf Sky gesehen haben, wie fast jedes Wochenende der letzten 15 Jahre. Er will nicht wahrhaben, dass man sich über 280 km treu bleiben kann und Interesse für einander zeigt.
Und so war es meinem Vater wohl auch damals -1976 in der Kneipe- nicht peinlich als ich dort mit der riesen Fahne der heute so von mir verhassten Bayern saß und diese später sogar noch mit nach Hause schleppte.
1980 ging ich noch immer mit meinem Vater ins Stadion. Die Bayern Fahne war längst verschwunden. Mein Held damals war der Torwart Jürgen Rynio. Mein Vater organisierte mir mehrere Autogramme. Auch von Dieter Schatzschneider, der in der Zeit so viele Tore in der 2. Bundesliga geschossen hat, dass ihn bis heute niemand eingeholt hat. Karsten Surmann und Karl-Heinz Mrosko fand ich noch ziemlich gut. Ich fing selbst an Fußball zu spielen und mir wurde langsam klar, dass es auch noch eine erste deutsche Fußballbundesliga gibt und die guten Mannschaften sogar bei internationale Turnieren mitspielten. Und ich gebe es zu! Damals liebäugelte ich bereits mit Mönchengladbach und war großer Fan der holländischen Nationalmannschaft. Außerdem war ich fasziniert vom F.C. Barcelona wo mein Comicheld Kai Falke spielte. Aber das war viel zu weit weg.
Die folgenden Jahre waren genauso deprimierend und 96 war gewohnt schlecht! In dieser Zeit habe ich gelernt, was es bedeutet ein Verlierer zu sein und trotzdem nicht den Kopf einzuziehen.
Außer wenn es mal wieder regnete oder schneite und wir gegen die Hertha oder gegen Bielefeld zuhause ein reinbekommen haben. Inzwischen konnte ich ja etwas besser sehen.
Kürzlich vergleich mein Vater meinen inzwischen 14-jähriger Sohn, der wirklich seit 10 Jahren ein stolzer Roter ist und alle Schändungen von Gleichaltrigen FC-Fans, Gladbach-Fans oder Bayern-Fans mitgemacht hat und dies mit Würde und Selbstbewusst sein ertragen hat und nie den Kopf eingezogen hat, von meinem Vater mit Werner Biskup verglichen. Er sagte, dass er eine gewisse Ähnlichkeit im Profil des Jungen zu Biskup sehe. Nun muss ich ziemlich objektiv sagen, dass mein Sohn ziemlich hübsch ist und ihnen gleichzeitig erklären, dass dieser Trainer Biskup uns 1985 nach fast über 10 Jahren in die erste Bundesliga zurückbrachte, aber ein elendiger Alkoholiker war, der zu dem noch fürchterlich aussah. Kopf einziehen, sagte ich mir, denn an solchen Tagen will man ja keinen Familienstreit beginnen und ehrlich ich kenne ja die Geschichte und die Tragik. Ein Jahr später ging es zurück in die zweite Liga. Und eh ich mich aufregen konnte, zog auch ich den Kopf ein und lernte weiterhin zu verlieren, außer an diesem einen Tag als wir 1992 den DFB-Pokal gewonnen hatten und in der nächsten Saison endlich INTERNATIONAL spielen durften. Wir bekamen Werder Bremen zugelost, die zweite Runde wurde verpasst.
Die nächsten Jahre bestätigte ich meinen Vater und zog tatsächlich den Kopf ein. Ich war in Köln angekommen interessierte mich aber nicht mehr für den Fußball. Ergebnisse nahm ich wahr, aber ich hatte einfach keine Lust mehr auf diese muffige Stadt, auf viele(s) andere(s) und auch nicht auf Hannover 96. Ich war dabei meine Wurzeln zu verlieren und auch meine ewige, alte Liebe. Ich war unglücklich mit meinem Verein, vielleicht auf der Suche nach einer neuen Liebe. Aber ich verstand! Man kann seinen Verein nicht wechseln, wie Frauen, Unterhosen, Lebenseinstellungen, Träume oder Jobs. Die Liebe zu einem Fußballverein bleibt für immer bis zum Tod! Wer das nicht verstanden hat, wird niemals ein richtiger Fan einer Mannschaft sein.
Denn es ist so, dass sich alles, für immer auf diesen Verein fokussiert. Auch wenn man nicht permanent in den Vereinsfarben gekleidet ist, keinem Fanclub angehört oder ständig mit Gleichgesinnten rumhängt. So eine tiefe Beziehung zu einem Fußballverein wie Hannover 96, ist etwas besonders intimes. Jeglicher Vergleich zu Anderen hingt, da in dieser Beziehung eine merkwürdige Identifizierung stattfindet, die nicht nur mit Erfolgen oder Niederlagen zusammenhängt, mit dem Habitus eines Vereines und seiner Historie oder gar seinen Vereinsfarben: So ein Fußballverein wird Teil von einem.
1997, ich wohnte längst in Köln, änderte sich alles! Ich fing an zu studieren, die Geburt meiner Tochter war vorauszusehen, ich sollte die Frau heiraten, die ich bis heute liebe. Wir planten unser Leben. Völlig normal Verlauf! Das aber das Flutlicht während eines Spiels ausfällt, Fans aus Cottbus die 96 Helden Otto Addo und Gerald Asamoah rassistisch beleidigten und auch noch Bananen warfen, dass machte mich sauer. 96 blieb in der Regionalliga. Die Relegation war verloren. Mein Beschützerinstinkt war geweckt.
1998, ich fuhr gerade von Köln nach Hannover um dort zu heiraten, entschied sich, dass Martin Kind den Verein übernehmen würde. Hannover 96 stieg in die 2. Bundesliga auf. Ich merkte, dass ich den Verein und die Tradition brauchte und ich verstand, dass meine alte Liebe mich brauchte und das nicht nur meine Familie das verstehen sollte, sondern jeder der mit mir in einer Beziehung stand. Word! So baute ich das Thema Aufstieg und die Liebe zu 96, die Gemeinsamkeit und damit verbundene Werte, wortreich in meine Hochzeitsrede am folgenden Wochenende ein. Ich stellte Zusammenhänge von 96, dieser zum Teil hier erzählten Geschichte, zu meinem Vater her und plauderte über Zusammenhalt, Gemeinsame Interessen und Traditionen. Ein Feedback gab es nie. Vielleicht hat mich niemand verstanden. Eben weil es eine echte Liebe ist und alle anderen nur ergebnisorientiert einen Verein gut finden. Ich muss so etwas annehmen! Wir hatten trotzdem eine gute Hochzeit und fuhren zurück nach Köln.
In der Saison 1998/1999 wurde mir bewusster, dass man seine Kopf nicht einziehen sollte. Ich machte mir weiterhin Gedanken über Werte, Vermittlung von Leidenschaften, Stillstehen und Weiterkommen. Ich traf Entscheidungen, auch für mich selbst, viele blieben und sind bis heute diffus, aber Hannover 96 blieb immer relevant im Fokus. Treue machte sich bezahlt. Und Tränen vor Glückbestätigten vieles als WIR am 01.07.2001 unter Ralf Ragnick endlich wieder in die erste Liga aufstiegen.
Es folgten fast 14 Jahre Bundesliga, Europapokalspiele, erste Besuche bei Heim- und Auswärtsspielen mit meinem Sohn, Frei-, Sams- und Sonntägliche Sofasession vorm Fernseher und vielen Fragen nach Sinnhaftigkeit einer mittelmäßigen Bundesligamannschaft ohne Vision, Leidenschaft und Ziele. Die Folge: Der erneute Abstieg in die 2. Liga im letzten Jahr!
Dieses kurze Essay hier drückt natürlich nur Ansatzweise die ganze Tragödie und Liebe zu diesem Verein aus. Demnächst erscheint mein Buch „Jeden Tag Regen“. Der Titel bezieht sich auf das ewige schlechte Wetter in den 1980ziger Jahren und meiner Musiksozialisierung. Wir wuchsen zwischen Melancholie, saurem Regen und viel Traurigkeit auf. Aber hatten Hoffnungen. Warum ich das erwähne? Nun, weil auch das Drama des Erwachsenwerdens und des älter Werdens mit dem persönlichen Bezug zu so einer langfristigen Liebe zusammenhängt und dies alles auch die Sache mit Hannover 96 am besten beschreibt.
Denn genau zwischen dieser beständigen des erneuten Angst des Scheiterns, der fast religiösen Traurigkeit und der niemals sterbenden Hoffnung (die ich mir immer bewahrt habe, für alles) fühlte ich mich in der laufenden Saison in der zweiten Liga. Manchmal war ich so niedergeschlagen und angsterfüllt, dass ich mich wie damals als 12-jähriger gefühlt habe, der am nächsten Tag eine verhauene Mathematikarbeit zurückbekommt um wieder mal als Loser abgestempelt zu werden. Einem Loser der auch noch zu einem ständig verlierenden Verein hält und dem ständig der Spiegel vor die Nase gehalten wurde, dass es keine anderen Möglichkeiten für ihn gibt, als das was das Leben für ihn, bereit, hält.
Es hat mich innerlich Zerrissen, wieder in der zweiten Liga spielen zu müssen, gefühlt lebendig und gebraten nach Hannover zurück kehren zu müssen und diese ganze schlimme Zeit sportlich und emotional erneut durchzumachen. Inklusive dem Scheitern des erneuten Aufstiegs. Ich bangte jedes Wochenende und fand mich zurück zwischen Lodenmänteln, Polizeitürmen, schlechtem Wetter und leckerer Currywurst. Und es war noch schlimmer! Denn ich hatte meinen Sohn mit in den Morast des Scheiterns gezogen. Ich hatte ihn zu einem Roten gemacht. Er liebt diesen Verein, genauso, wie mein Vater, mein Bruder ihn geliebt hat und ich! Und nun, sollte er das gleiche Schicksal erleiden wie ich!? Dritte Liga, zweite Liga, Pleiten, Pech und Pannen?
Doch! Nein! Ihm wird es besser gehen! Wir sind aufgestiegen! Haben das Unmögliche geschafft (es sein denn die ungeliebte Eintracht gewinnt am Wochenende sehr hoch gegen den KSC und der VFB und wir verlieren) Diesmal bin ich optimistisch, auch wenn ich alles erlebt habe, mit diesem Verein.
Vor allem habe ich gelernt, erneut, nicht den Kopf einzuziehen! Mit 96 habe in fremden Gefilden, bei unzähligen Smalltalks und Gespräch gelernt, wer sich wirklich für Fußball interessiert oder einfach nur ein Blender ist.
Wissen Sie, ein Bayern Trikot kaufen kann sich jeder! Seinem Sohn so ein Trikot schenken auch. Es gibt aber keinen logischen, emotionalen, faktischen oder plausiblen Grund dafür, wenn man das tut und keinen regionalen oder familiären Bezug zu diesem einem Verein hat. Sondern in einem Reihenhaus in Dormagen wohnt und seinen Kindern irgendwas mitgeben will, was mit Gemeinsamkeit zu tun hat, aber nicht mit dem Leben! Natürlich gibt es Ausnahmen, ich weiß das, aber sie wissen auch was ich meine, wenn Sie genauso einen Fußballverein lieben wie ich.
Es ist ja auch schon fast vermessen, den Erfolg bzw. Misserfolg mit seinen eigenen Niederlagen und Glanzzeiten abzugleichen. Aber! Die Liebe zu einem Verein wie es Hannover 96 einer ist, beeinflusst die Persönlichkeit seiner Fans. Ebenso wie, das Vereine wie Bayern oder Leverkusen oder Wolfsburg in negativer Weise bei deren Fans schafft.
“It is a strange paradox that while the grief of football fans(and it is real grief) is private - we each have an individual relationship with our clubs, and I think that we are secretly convinced that none of the other fans understands quite why we have been harder hit than anyone else - we are forced to mourn in public, surrounded by people whose hurt is expressed in forms different from our own.”
― Nick Hornby, Fever Pitch
Neuanfang, mit erhobenen Haupte!
Alan Lomax
P.S.: Alan Lomax betreibt seit über 8 Jahren den Kulturblog www.lomax-deckard.de Er ist 1970 in Hannover geboren und lebt seit 1994 in Köln. Neben zahlreichen Aktivitäten im kulturellen Bereich, hat er eine eigene Radiosendung auf 674.fm und veröffentlicht im Jahr 2017 sein erstes Buch „Jeden Tag Regen“, welches die düsteren Jahre der Pubertät in der Landeshauptstadt Hannover beschreibt und den ständigen Versuch sich durch Musik und Popkultur zu halten, zu retten und zu flüchten.
Hannover 96 ist dem Autor ein großes Anliegen! Da er diesem Verein seit Mitte der 1970ziger Jahren leidenschaftlich folgt und den Aufbau seiner Lebensphasen mit dem Paradox der Entwicklung seines Lieblingsfußballverein sieht.
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© 2017 – Alan Lomax
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