VIKINGS – Michael Hirst
Wikinger müsste man sein! Dann könnte man jagen, fischen. Wenn es zu Hause mal eng wird, fährt man mit seinen Kumpels auf See erobert und entdeckt fremde und neue Welt. Kommt als Held zurück. Man würde am Kattegat in einer lauschigen warmen Hütte am Meer wohnen. Immer genug Met zur Hand, frisches Fleisch. Schwertkämpfe, Bogenschießen, Wettkämpfe und ab und zu mal ein paar kleinere Feldzüge in die Nachbarschaft unternehmen, um ein paar asozialen Nachbarn eins aufs Maul zu hauen. Angst vor irgendwas hätte man nicht. Denn man ist sich sicher: Als feiner Herr Wikinger, der aufrichtig gekämpft hat und den Göttern vertraute, wartet Walhalla der Ruheort der tapferen Krieger, eine Ruhmeshalle wo es noch mehr Met und Essen gibt, und einem Walküren gereicht werden.
So einfach ist das alles nicht gewesen, sagt nun der ein oder andere Historiker! Von wegen, sage ich! Schauen Sie sich dann mal die Serie VIKINGS von Michael Hirst an, denn dort wird es richtig schlimm, den scheinbar haben die wilden Nordmänner und –frauen die gleichen Probleme wie ein Don Draper, ein Toni Soprano oder eine Nancy Botwin.
Erzählt wird die Geschichte des Ragnar Lodbrok, der mit der Schildmaid Lagertha verheiratet ist und all‘ das hat, was in meiner einfachen Darstellungen oben aufgeführt wird. Und tatsächlich so einfach ist es wirklich nicht. Weder in der echten Mythologie, noch in der Fiktion.
Denn Ragnar ist unzufrieden. Unzufrieden mit seinem Anführer Jarl Haraldson und unzufrieden mit dem gesellschaftlichen und politischen Stillstand. Getrieben von Fernweh und Abenteuerlust und der Unterstützung seines genialen Freundes und Schiffbauers Floki, begibt er sich Richtung Westland erobert mühelos, dieses spätere England, nimmt ein paar Gefangene Mönche und Sklaven mit und plündert Unmengen von Schätzen.
Die Figur des Ragnar ist historisch umstritten. Ob der alte Knabe wirklich gelebt hat ist nicht nachgewiesen, auch seine hier erzählte Geschichte ist eine Mischung aus Fiktion und geschichtlichem Halbwissen.
Hirst bedient sich der Wikingerzeit (immerhin 200 Jahre) wie er will, bringt jegliche Chroniken durcheinander und nutzt diese kongenial um seine Geschichte im Frühmittelalter zu erzählen.
Ragnar inzwischen Vater von zwei Söhnen hat sich mit dem Mönch Athelstan angefreundet, der ihm vom Johannesevangelium erzählt. Fasziniert von dem Mönch schützt er ihn vor seinem Bruder Rollo und dem Stammesführer. Gleichzeitig steigt sein Ansehen bei den restlichen Wikingern. Im Zweikampf stürzt er den Jarl und wird selbst Chef der wilden Horde. Gemeinsam mit einem Verbündeten plant er einen größeren Raubzug und kehrt zurück nach England.
Im Verlauf der zweiten und dritten Staffel, lernen wir Kultur, Charaktere und die europäische Geschichte aus Sicht von Showrunner Hirst noch besser kennen. Kriege, Raubzüge, Intrigen, Vertrauensbrüche, Verrat, das übliche Spektakel.
Das Ende der vierten Staffel endet dramatisch, denn die Autoren haben den Mut, den inzwischen verzweifelten Helden und angeschlagenen Ragnar sterben zu lassen. Das muss man nicht als Spoiler verstehen, da man sich spätestens nach den ersten zwei Folgen in Staffel eins über den interessanten Ragnar Lodbrock informieren wird. Und egal, ob die gewählte Quelle Richard Fleischers Film THE VIKINGS (1958) mit Ernest Borgnine sein wird, die Roman Triologie HAMMER UND KREUZ oder eine halbdeutliche Wikipedia Seite, man wird immer zuerst über die Hinrichtung Ragnars in der Schlangengrube lesen.
Die Vorlage für die bereits bestellte fünfte Staffel ist mit dem Ende der vierten Staffel und dem Tod des Helden durchausgegeben, denn vorerst sind alle alten Erzählstränge beendet und die noch übrig gebliebenen Helden, strukturell genial und fast auf null gestellt, vorbereitet für ein neues Kapitel mit weiteren Abenteuern.
Ragnars Söhne haben zum Teil die Macht übernommen oder üben großen Einfluss auf das Heer der Nordmänner aus. Sein ältester Sohn Björn Eisenseite hat einen Vorstoß bis Spanien gewagt und der Rest stellt eine riesen Flotte auf, um den Helden zu rächen. Epische Kampfsequenzen, Bruderstreit und neue verachtenswerte früheuropäische Könige werden den Rahmen dieses furiosen Spektakels geben.
Wenn über Serien gesprochen wird oder man aufmerksam in der Streaming- und Medienhauswelt unterwegs ist, wird VIKINGS immer etwas stiefmütterlich behandelt. Auch die deutschen Kritiken sind durchschnittlich. Dennoch läuft die Serie seit 2013 gemächlich vor sich hin und offensichtlich auch recht erfolgreich, da es mit Staffel 5 und 20 ! weiteren Folgen weitergeht.
Die inkl. der neuen Staffel mit bemerkenswerten 69 Folgen der historischen Serie sind über weite Strecken speziell. Das alles ist nichts für Besserwisser, desinteressierte Geschichts- und Abenteuerfreunde und Feingeister.
Natürlich gibt es jede Menge Gewalt, reichlich Sex und zum Teil recht dumpf anmutende, aber immer trashige Unterhaltung. Da sich die Produktion ganz klar auf den fiktionalen Teil der Legende bezieht und nicht auf den der prähistorischen Archäologie macht das aber nichts.
Denn die Serie ist eine reine Abenteuerserie die zahlreiche Subgenres miteinbezieht und in bester „Golden Age Manier“ dem großen Bild, seinen Helden und der Ästhetik des großen Kinos folgt, als Superhelden noch echte Männer waren und keine Capes trugen, sondern Fellwesten.
Dabei hat sich Ragnar Lodbrok, dargestellt von dem offensichtlich völlig entrückten Travis Fimmel, zu einem wirklich erstaunlichen Charakter entwickelt, der zwischen Muße, Ehre und Erkenntnis hin und her taumelt. Interessant dabei ist die Wirkung und die Stimmung der gesamten Umsetzung, die einen selten Schaudern lässt, sondern einen ziemlich schnell fürchten lässt, dass einem der Hauptfiguren etwas schlimmes passiert. Ein für mich immer gutes Zeichen, für die Funktionalität einer Erzählform. Vielleicht mag diese Symmetrie für den ein oder anderen zu viel sein, für mich aber ist es erstklassige Unterhaltung und zum Teil düstere Spannung.
Vom Kattegat
Alan Lomax