COLLATERAL - James Newton Howard
Oftmals geht man den Film in Gedanken noch einmal durch, wenn man die Musik isoliert von den Bildern hört. Das ist einer der vielen Gründe, warum Menschen Filmmusik hören. Das sich Erinnern an besondere Momente, das erneute Erleben bestimmter Situationen, die Nachempfindung von Emotionen. Hierzu eignen sich besonders die Musiken zu Liebes- und Abenteuer-, Fantasyfilmen und gelegentlich auch Komödien.
Thriller haben es da deutlich schwerer.
So ergeht es einem auch bei der Rezeption der Musik zu Michael Mann's Action-Thriller COLLATERAL, den ich persönlich für einen der besten Filme des Regisseurs halte und der interessanterweise auf diesem Blog noch nie besprochen wurde. Ein brillant inszenierter und fotografierter Thriller mit einigem Diskussionspotential.
Das auf die Neu- und Wiederveröffentlichung von Filmmusiken spezialisierte Label Intrada Records veröffentlichte Ende 2016 die vollständige Musik von James Newton Howard. Die Gesamtlaufzeit auf der CD beträgt 52:45 min, im finalen Film wurden schlussendlich nur 15 min. verwendet. Dem interessierten Hörer bietet sich nun die Möglichkeit zur Komplettierung seiner Sammlung aber auch die Möglichkeit nachvollziehen zu können, mit welchen stilistischen Mitteln der Komponist die Bilder auf der Leinwand begleitet und unterstützt.
Das ist kein einfaches Unterfangen, denn die Musik ist nicht melodisch und strotzt auch nicht vor Harmonien oder beseelten Akkorden. Howards Musik unterliegt aber einer Entwicklung, die es Wert ist zu hören und genau nachvollziehbar macht, wie sich die Situationen und Handlungen auf der Leinwand ändern. Dazu bedarf es mehrerer Hördurchgänge und vom Hörer ist Geduld gefordert.
Die Musik ist kalt, roh, dissonant, hat viele Kanten und Ecken und erschliesst sich in ihrer Funktion nur dann, wenn man sie in der Vollständigkeit hört. Wie dem informativen Booklet zu entnehmen ist, ist Michael Mann kein grosser Bewunderer von John Williams, noch seines Stils, den er als "Neo-Mahler" bezeichnet, er würde förmlich durchdrehen ("go nuts"), wenn er solche Musik höre. Es verwundert also nicht, dass die Komposition, gerade zu Beginn des Films, eher gekennzeichnet ist von verschiedenen Sounds und Soundeffekten, als von Melodien.
Zu hören sind mit Vocals unterlegte Klangtexturen, elektronisch verfremdete Gitarren (auch ein Mitglied der Helmets spielt mit) und auf Synthesizern basierende Töne. Je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr zieht das Tempo an und die desto mehr liegt auch die Betonung auf den Percussions. Besonders deutlich wird das in den abschliessenden (und mitreissenden Tracks) Race To Annie, Cat And Mouse und Race To The Metro. Gerade hierin liegt im Speziellen der grosse Reiz dieser Musik: Sich von der Stimmung und Atmosphäre vom Anfang bis zum Ende treiben zu lassen. Erst dann offenbart der Score seine wahren Qualitäten.
Howard lässt seine musikalischen Anfänge in der Musik erklingen. Er war Mitglied bei Elton John und Keyboarder bei Toto. Dieser "Rock n' Roll"-Style und seine Vorliebe für den Blues sind hier deutlich herauszuhören.
Wer sich nicht scheut Anstrengungen auf sich zu nehmen, um sich diese Musik in mehreren Hördurchgängen zu "erarbeiten", dem sei die CD wärmstens ans Herz gelegt.
James Newton Howard geht dieses Jahr auf Tournee in Deutschland:
Sollten Sie den Film nicht kennen, dann allerdings gibt es keine Kompromisse: Ansehen!
Aus Los Angeles,
Rick Deckard