Michael Cimino - Das Tor zum filmischen Himmel

von Rick Deckard  -  5. Juli 2016, 23:11  -  #Klassiker

Michael Cimino - Das Tor zum filmischen Himmel

Gefühle sind Gemütsbewegungen oder -erregungen.

Wir gehen ins Kino, um uns durch Geschichten unterhalten zu lassen. Diese Geschichten werden nicht vorgelesen, sondern sie laufen vor unserem Auge ab in einer genau gewählten Abfolge von Bildern, die an bestimmten Stellen von Musik untermalt werden, um den Moment zu intensivieren. Schauspieler spielen Rollen in diesen Geschichten und es liegt u.a. an ihrer Darstellungskunst, ob es gelingt uns zu überzeugen, ob die Geschichte, die wir zu sehen bekommen plausibel erscheint.

Wir lassen uns treiben im Kino, staunen über die Bilder, die wir zu sehen bekommen, lassen uns mitreißen von den Geschichten und geniessen in manchen Momenten die Musik, die zu uns durchdringt.

Der Grund aber, warum wir gerne Filme sehen, davon bin ich überzeugt, egal um welches Genre es sich handelt, sind die durch die Geschichten vermittelten Emotionen.

Der amerikanische Regisseur Michael Cimino drehte in seiner Karriere nur wenige Filme, von denen, wie mein Freund und Mitstreiter Alan Lomax zurecht schrieb, insbesondere zwei herausragend waren:

THE DEER HUNTER

HEAVEN'S GATE

Die Ursache dafür ist, dass es sich bei beiden Filmen in Bezug auf Gefühle um höchst intensive Filme handelt, bislang in ihrer Wirkung unerreicht. Michael Cimino drehte, und auch hier stimme ich meinem Kompagnon uneingeschränkt zu, zwei

M e i s t e r w e r k e 

der Filmgeschichte. Dieses Wort (Meisterwerk) hat leider durch seinen inflationären Gebrauch an Bedeutung zusehends verloren, wer aber verstehen will, was es bedeutet das 'Werk eines Meisters' zu sein, dem mögen beide ans Herz gelegt sein.

Michael Cimino - Das Tor zum filmischen Himmel

The Deer Hunter erzählt eine Geschichte, die, und das ist das Alleinstellungsmerkmal dieses Filmes, uns allen hätte widerfahren können. Es ist eine traurige Geschichte, in der erzählt wird, was Krieg Menschen zufügen kann und die Wirkung des Krieges auf Dauer Menschen verändert und Einfluss auf ihr Leben nimmt.

Die Bilder, mit denen Kameramann Vilmos Zsigmond uns die Geschichte vor Augen führt sind von einer solchen Ästhetik und Dichte, dass ich kaum Worte finde sie zu beschreiben, man muss sie sehen.

Musik im Film zu benutzen und sie an der richtigen Stelle einzusetzen, dass ist eine grosse Kunst. Stanley Myers "Cavatina" ist unzertrennlich verbunden mit den Bildern und allein diese Musik, allein dieses Hauptthema ist in der Lage uns auch ohne die Bilder zu berühren, aber in Verbund mit den Bildern entfaltet sie eine Wirkung, die unser Gemüt zutiefst berührt.

Die schauspielerischen Leistungen, zu denen Michael Cimino bei The Deer Hunter die Darsteller motivierte, sind unübertroffen, allen voran Robert De Niro, Christopher Walken und Meryl Streep. Die Intensität der Schauspielkunst ist das, was haften bleibt, lange, nach dem die Bilder verstummt sind.

The Deer Hunter bewegt das Gemüt des Betrachters. Virtuos, wie der Regisseur bei diesem Film uns mit Gefühlen steuert, motiviert, beeindruckt und beeinflusst.

Genauso wie Mr. und Mrs. Lomax sah ich den Film das erste Mal auf einem Röhrenfernseher auf Videokassette und als die "Cavatina" verklungen war und mit ihr die Titel am Ende des Films aufgehört hatten zu rollen, sass ich fassungslos vor dem Fernseher. Kein anderer Film hatte mich dermassen mit einer solchen Wucht emotional so mitgerissen.

Das Fatale, wenn man so will, an diesem Meisterwerk ist, dass es kein Film ist, den man "mal eben" ansieht oder mit dem man eine Retrospektive beginnt (oder beendet). Man muss in einer gefestigen und ganz bestimmten Stimmung sein, um ihn zu sehen (wie bei allen Meisterwerken) und wenn man ihn gesehen hat, dann möchte man lange Zeit keinen Film mehr betrachten, so nachhaltig ist sein Einfluss, so gross der gefühlsmässige Nachhall.

Nicht zuletzt ist diese Wirkung einem zentralen Thema geschuldet: Freundschaft. Die tiefe Verbundenheit, die De Niro und Chris Walken eint, als Männer und als Kollegen. Genau genommen ist diese Freundschaft das Kernthema des Films, neben der allegorischen Hirschjagd.

"Für fünf heiße Kehlen fünf kühle Helle!"

Lomax hat es wunderbar beschrieben: Die Bar-Sequenz und der Frankie Valli Song haben Geschichte geschrieben, Filmgeschichte und persönliche. Eine Rarität.

Michael Cimino - Das Tor zum filmischen Himmel

Leider war es mir nie vergönnt Heaven's Gate auf einer grossen Leinwand zu sehen und diesbezüglich beneide ich Alan Lomax. Es muss ein unglaubliches Erlebnis gewesen sein. Bewundern tue ich in diesem Zusammenhang, dass Lomax sich im Jahr 1 9 8 7 auf die Reise gemacht hat diesen Film zu sehen.

Die Recherchen zum Tode Michael Ciminos im Internet zeigen, dass die meisten Journalisten, die darüber geschrieben haben, im Grunde vom Kino und der Leidenschaft dafür nichts, aber auch gar nichts verstehen. Lieblos werden Fakten aneinandergereiht um dem Ableben dieses grossen Regisseurs "gerecht" zu werden und die Rolle als Medium zu erfüllen. Wieder und wieder liest man die immer gleichen Geschichten um diesen Film, seine Bedeutung als "Flop" (was für ein Blödsinn!), der Niedergang eines Studios usw. und so fort.

Würde mich jemand fragen, was episches Kino in seiner Erzählform bedeutet, mit dem würde ich ins Kino gehen und diesen Film auf voller Länge auf einer grossen Leinwand zeigen.

Berauschendes Kino.

Ein grandioses Meistwerwerk, höchst unbequem und gerade deswegen so gut. Was nicht zuletzt auch der Arbeit eines Mannes zu verdanken ist: Vilmos Zsigmond. Sehen sie sich in dem folgenden Trailer die Bilder an, dann werden sie einen Hauch dessen erahnen, was ich meine.

Vollkommen richtig, was die Zeile oben auf dem Video aussagt:

Ganz einfach einer der schönsten und eindringlichsten Filme, die je gedreht wurden.

Warum unbequem?

Der Film ist zeitlos wegen des gewählten Themas und das ist unbequem, insbesondere wenn man bedenkt, in welchem Jahrzehnt im letzten Jahrhundert er gedreht wurde.

Viel wichtiger ist jedoch, dass sich Cimino als Amerikaner eines "unamerikanischen" Themas annahm, dem historisch verbürgten Johnson County War, bei dem amerikanische Viehzüchter und Farmer versuchten osteuropäische Einwanderer, die in Scharen in das Land kamen zu vertreiben ... .

Wie zeitlos das Thema ist, zeigt sich auch an der aktuellen politischen Lage in Europa. Einer der wesentlichen Gründe, warum Kriege geführt werden sind Grenzüberschreitungen. Gut, dass dem heute nicht so ist. Im Westen des 19. Jahrhunderts war es anders. Es galt das Recht des Stärkeren, das Recht des Kapitals.

Mit den Stilmitteln eines monumentalen Western erzählt Cimino diese Geschichte und auch hier berühren uns die Schicksale, die Gefühle. Der Sytle erinnert an Sam Peckinpah, die Bilder sind von einer überwältigenden Wucht, die Kritik, die Cimino an der Zivilisation übt, grundlegend. Eine pessimistische Weltsicht warf man ihm vor. Warum auch nicht? Warum sollten Filme nur "optimistisch" sein und in einem Western ein Held auf seinem Pferd der Sonne entgegen reiten? Von diesen und anderen Mythen des Wild West ist Michael Cimino in Heaven's Gate weit entfernt und genau das hebt ihn über die Masse hinaus.

Ähnlich Gonzalez-Innaritu in The Revenant legt Cimino bei Heaven's Gate einen grossen Wert auf Akribie und v.a. Realismus. Welcher andere Regisseur zeigte jemals das beschwerliche Leben der Menschen zu dieser Zeit mit dieser Genauigkeit und Detailversessenheit? Ich kann mich nicht erinnern.

Mit grosser Euphorie startete ich vor 6 Jahren auf diesem Blog eine Retrospektive mit Filmen dieses Regisseurs, es verwundert mich nicht, dass nach Thunderbolt & Lightfoot und Year Of The Dragon Schluss war. Die hier genannten Filme sind Juwelen, die man wegen ihrer Besonderheit nur von Zeit zu Zeit ansieht.

 

Michael Cimino ist am 02. Juli 2016 in Beverly Hills, Californien verstorben.

 

Mit ihm auch Mut, Vision und Leidenschaft.

 

Seine Werke waren für mich und Lomax sprichwörtlich das Tor zu einem neuen filmischen Universum.

 

Einer der grössten Regisseure aller Zeiten.

 

Rick Deckard

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