The Visit – M. Night Shyamalan
Zur „goldenen Zeit“ des Kinos waren Filmankündigungen wahre ohren- und augenbetäubende Vergnügen. Reißerisch wurden damals z. B. die neusten Hitchcock Streifen mit grandiosen Sätzen wie : „No One…But no One…will be admitted to the Theater after the start of Each performance of…“ (Psycho) oder „Vom Meister des Schockers – ein schockierrendes Meisterstück“ (Frenzy) angekündigt.
Heut zu Tage geht man da etwas sachlicher vor: „Der neue Film von M. Night Shyamalan“ Autor von The Sixth Sense, The Village & Signs“. Vielleicht auch bedächtiger, denn Shyamalan’s Sektenmachwerk „After Earth“ und seine selbstverliebtes „Das Mädchen aus dem Wasser“ (2006), sowie seine doch sehr langweilige Serie „Wayward Pines“ streicht das Hollywood Marketing dann bewusst.
Zu Recht! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bin wahrscheinlich Shyamalan’s größter Fan. Den Film „The Sign“ (2002) halte ich für einen der besten Filme der sog. 20nuller Jahre. Das Talent, seinen filmischen Ansatz und das gesamt Werk bis jetzt, halte ich für erwähnungswürdig und gehaltvoll genug um ihn immer in der Liste der 10 interessantesten zeitgenössischen Regisseure auf den ersten Plätzen zu führen. Aber man muss eben auch ehrlich sein. Shyamalan hat lange keinen faszinierenden, stilprägenden Film mehr gedreht. Seine subtilen Bedrohungsszenarien, die Psychologie der Angst und die Plot Twists haben zuletzt einfach nicht mehr funktioniert.
Dazu legte er sich mit den Disney Konzern an und galt fortan bei allen Studios als kommerzielles und künstlerisches Risiko. Für einen Regisseur der ersten Liga ein zusätzliches Fiasko. Mit The Visit beweist der indisch stämmige Regisseur nun erneut sein Können und kehrt mit einem Found-Footage-Film und einem selbstfinanzierten, geringen Budget zu seinen Wurzeln zurück.
Eine sehr gute Entscheidung, denn obwohl dieser Film allen Regeln eines großen Filmes wiederspricht, ist ihm eine kleine meisterliche Horrorperle gelungen. Ich bin kein großer Fan von der Genreidee, die Aufnahmen vom Schauspieler selbst machen zu lassen. Zudem hatte ich gedacht, dass dies die Filmkunst einschränkt und das mit Filmen wie „Blair Witch Project“ und „REC“ alle Möglichkeiten erschöpft sind. Außerdem bin und bleibe ich dem klassischen Handwerk treu und traue der Schönheit des Filmes der Filmästhetik mehr zu als diesen grundsätzlichen Dogmen. Nicht zuletzt, weil Thrillerelemente wie Musik und Dynamik auf der Strecke bleiben.
Aber gut, dass man immer wieder eines besseren belehrt wird. Mit THE VISIT legt Shyamalan ein furioses Comeback vor, welches richtig mies, böse, aber auch gemein und düster, wie ein grimmsches Märchen, ist. Und dabei greife ich nicht den direkten Vergleich zu Hänsel und Gretel auf.
Shyamalan schickt uns mit den Geschwistern Rebecca und Tyler eine Woche auf’s Land, wo die beiden sympathischen und talentierten Teenager ihre Großeltern John und Doris besuchen. Die alleinerziehende Mutter hat sich vor vielen Jahren mit ihren Eltern verkracht, daher filmt Rebecca das Ereignis um die gemeinsame Zeit auf Video festzuhalten. Schnell stellen die Kinder fest, dass irgendwas mit ihren Großeltern nicht in Ordnung ist. Jedem folgenden Satz von mir könnte man nun als Spoilen verstehen.
Ganz nebenbei gelingt es dem Regisseur die Jugendlichen Helden tatsächlich als glaubwürdige, überhaupt nicht nervende Charaktere darzustellen. Wenn man überlegt, gelingt das nicht vielen Filmemachern. Da Kinder und Jugendliche in Hollywood meist in stereotypische Rollen gepresst werden. Aber Rebecca und Tyler sind echt Identifikationsfiguren für das erwachsene Publikum, da sie eben überhaupt nicht dem Rollenbild des nervenden Teenagers entsprechen, sondern ebenso klug, talentiert, clever und von der Popkultur aufgeklärt sind, wie die –sagen wir einmal– die eigenen Kinder (sic!). Ebenso verhält es sich mit der schlauen Schnitttechnik die ja fast alle Filme des damaligen Wunderkindes auszeichnet. Shyamalan ist ein filmischer Gott des Timings, der Kameraperspektive und des Spannungsaufbaus. Alleine wie es ihm gelingt, die Großeltern auf Distanz zum Zuschauer zu halten und er es erst gar nicht zulässt, zu hinterfragen, dass dort irgendwas nicht stimmt, ist sensationell. Einige Kritiker sprechen von Schwächen in dem Film. Ich kann keine sehen. Jede Sekunde, jeder Trick, jede dramaturgische Falle, jeder Dialog und alle Kamerapositionen von Rebeccas Dokumentarfilm ergeben eine geometrische Filmform, die Sinn macht und auf geheimnisvolle Art und Weise eine unbeschreibliche Nachhaltigkeit erzeugt, dass man von nun an einige selbstgewählte Foto- und Selfiesituationen neu überdenken muss.
Was bleibt ist, dass dieser Film ein kleiner Triumph für das Kino ist, denn er ist äußerst wirksam, grusselig und unterhaltsam. Aus cineastischer Sicht eine Steilvorlage dafür, dass auch ein scheinbar abgenutztes Genre wiederbelebt werden kann, wenn ein Regisseur mit Ideen, Kreativität und Genie am Werk ist. Shyamalan ist wieder da! Vielleicht würde ich das als Marketingverantwortlicher auch auf die Filmplakat drucken oder besser vielleicht: „Er hat es wieder getan!“. Was symbolisch dafür stehen soll, dass der kleine Kerl uns alle an der Nase herumführt, einen sehr guten Plot erarbeitet hat und es nebenbei schafft sein Publikum in angststarre Momente und in ein Höchstmaß an Suspense zu versetzen. Welcher unserer Helden hier seine große Freude gehabt hätte, steht zwischen den Zeilen!
Beim Backofen reinigen!
Alan Lomax
Signs - M. Night Shyamalan / Vom Pseudo-Cineasten zum Filmvorführer - www.lomax-deckard.de
Was wir nicht sehen, macht uns am meisten Angst! Nicht nur dieser alten Kinoregel folgt der US-amerikanische Filmregisseur! Shyamalan steckt in diesen Film von 2002 sein ganzes generisch erworbenes