KING DAVID BOWIE 1947 – 2016 FOREVER CHANGING SOUND AND VISION
Total schwer einen Bowie-Nachruf zu schreiben? Insbesondere wenn das der x-te Nachruf ist und alle Interessierten schon mindestens fünf gelesen haben? Ja.
Deshalb beinhaltet mein sehr persönlicher Nachruf nicht die obligatorische Station to Station – Methode, sondern meine Erinnerungen und Verbindungen zu Bowie. Für diesen Leidenschafts-Blog und nicht für den Guardian oder die Zeit!
Ganz sicher sind die allseits beschriebenen Stationen wichtig, mir, wie allen anderen. Space oddity-70’s-Verwandlungen-Ziggy-Erschaffung samt Entthronisierung-ThinWhiteDuke-Koksphase-Berlintrilogie-Eno-Einfluss-80erKreativitätsloch-Mid90sComeback-Rückzug ins Privatleben-Selbstreflektion/Rückblick nach Berlin mit Where are we now?-Abschiedsalbum Das kann man allerorts lesen, ebenso die Biographien. Eine Anmerkung dazu muss ich allerdings auch machen: Eine Woche bevor Apollo 11 im Jahr 1969 auf dem Mond landet, erscheint Space oddity. Diesen bedeutenden Vorsprung hat Bowie dann bei fast allen seinen Ideen und Entscheidungen in der Folge gehabt.
Meine Bowie-Koordinaten sehen so aus:
Die pauschal als kreatives Loch übergangenen Achtziger Jahre sind aufgrund meines Alters meine Entdeckungsjahre. Hier geht es um die alten Alben, aber auch jeweils um die aktuellen, denen ich ebenfalls viel abgewinnen kann, denn gute Songs sind immer dabei.
Die für mich wichtigste Faszination ist seine Stimme. From a whisper to a scream. Die hohe Kunst des Crooning – für King David nur eine Aufwärmübung. Die Variabilität seiner Stimme ist beachtlich und sie ist fast unverwechselbar. Im Rahmen der unzähligen Listen, die ich in meinem Leben erstellt habe, war Bowie immer dabei. Musikzeitschriften haben in den Achtzigern und Neunzigern immer die Kategorie “Bester Sänger” abgefragt. Ich habe trotz tausender erworbener Schallplatten seit ich denken kann King David Bowie auf Platz eins gesetzt, immer mit sicherem Abstand vor David Byrne, der ebenfalls nie den Podestplatz verlor. It’s that edgy voice. Aber auch diese velvet voice, die so herrlich umarmend ist, man höre nur seine Version von Dimitri Tiomkins Wild is the wind, hier empfehle ich den wahrlich satten Sound der 12”.
1981/1982 Bahnhof Zoo
So fing es für mich an. Es gab schon Ashes to ashes, das war ein Hit, aber Bowie war noch nicht bei mir. Im Religionsunterricht der fünften oder sechsten Klasse schauten wir zum Thema Drogen den Film “Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Bis heute habe ich die feste Überzeugung, dass mich der hier zur Schau gestellte Addiction-Ekel vor dem Kontakt mit harten Drogen bewahrt hat. Faszinierend war zudem, dass Christiane F. Bowie-Fan war. Fan sagte man in den Achtzigern. Station to station und Heroes/Helden sind bei mir derart hängen geblieben, dass Bowie für mich als zu bewundernder Star gesetzt war. Und Berlin war für mich die harte Drogenmetropole.
Ich habe über Jahre meinen Freundeskreis mit Superlativen zu Musikschaffenden genervt und von den gerade besten Bands aller Zeiten überzeugt, das waren Depeche Mode, Union Carbide Productions, Ride, The Soundtrack of our Lives, Phoenix und temporär noch ein paar andere. Aber Bowie war für mich als bester Sänger immer outstanding.
1982 New Romantic und New Wave
Wir beginnen als zwölfjährige Schüler aktiv Popmusik zu hören. Während Bowie seine hellblonde Fönfrisur trägt und vor den weltweiten Erfolgen mit Let’s dance steht, ist seine gender crossing Phase längst vorbei, die bahnbrechenden Einfluss auf zahllose Künstler hat und diesen gesellschaftliche Akzeptanz bringt.
Wir hören all die Bands, die Bowies Einfluss in sich tragen und dank seiner Errungenschaften gesellschaftlich im Mainstream landen. No misfits anymore in den bunten Eighties. Visage mit Steve Strange vorneweg, Soft Cell, ABC, Heaven17, Human League, BlancmangE, Depeche Mode landen auf Mixtapes mit Bowie.
1983 Nur Hits
Mit Chic’s Nile Rodgers holt sich King David den Funk ins Haus und erobert die Welt mit dem Tanzhit Let’s dance, der heute noch hervorragend funktioniert. Put on your red shoes and dance the blues, eine wahrhaft königliche Ansage.
China girl hatte er hingegen für Iggy’s Idiot-Scheibe bereits 1977 geschrieben und produziert und nun neu aufgenommen, faszinierend exotisch mit überheblichem Charme. Die dritte Single von dem Album, Modern love, mag ich wegen der aufgedrehten Guitarre sehr gern und weil es so eine catchy up-tempo-Nummer ist. Also: nur Hits!
1984 Alien
Nachdem das Tonight Album tatsächlich nicht ganz in meine 84er Musiksozialisation passte, entwickelte sich aber eine Single, die auf diesem Album war: Die 12” von Loving the Alien beinhaltete ein grosses Poster, das fortan sehr lange in meinem Zimmer hing und bis heute ist der Song einer meiner Favoriten. Bowie hat bei einem späteren Konzert in der KölnArena eine Akustikversion gespielt, die fantastisch war. Davon hätte ich gern eine Aufnahme, Hinweise dazu nehme ich dankend entgegen.
Nicht Cologne, aber Vienna, ein paar Tage später (für Dich lieber Ewing!)
1985 Live Aid
Im Sommer des Jahres 1985 fuhr ich mit meinen Eltern nach Italien, in den Badeort Cesenatico an der Adria. Das schöne Hotel war uns bereits bekannt, tagsüber gab es Strand oder Pool, abends konnte man flanieren und geschmackssicher italienische Klamotten einkaufen, Eis essen, zum Hafen gehen oder im Open-Air-Kino für deutsche Urlauber Bud Spencer- oder Louis de Funes-Filme anschauen. Ich besaß einen blauen Sony Walkman WM-4, der später durch den DD-2 mit Metallgehäuse ersetzt wurde. Darauf hörte ich am Pool die Mixtapes, die ich bei Mal Sondock mitgeschnitten hatte oder die LPs, die ich mir selber aufgenommen hatte, für den Urlaub. Bewaffnet war ich zudem mit dem aktuellen MusikexpressSounds inkl. Bowie-Artikel.
Mein Vater hat mit dem Hotelchef geklärt, dass der Fernseher in der Hotellobby läuft, wenn das Live-Aid-Konzert übertragen wird. Ich bin davon ausgegangen, dass ich mit 30 anderen Gästen um einen Sitzplatz vor dem TV kämpfen muss. Das war aber nicht so, ich fand mich dort allein wieder, aber der Hotelchef hat den Apparat angestellt, wie versprochen. Draussen hatte es 30 Grad, aber ich habe beharrlich alles geschaut, was kam. Mein Ziel war, bis zum Bowie-Auftritt auszuhalten. Hat sich gelohnt und ich hab dann auch noch mehr geschaut. Bowie im cremefarbenen Anzug, bestens aufgelegt, an diesem hochemotionalen Tag, an dem Bob Geldof Charity-Geschichte geschrieben hat. 30 Jahre später wird in Deutschland das häufig missbräulich verwendete Wort “Gutmensch” zum Unwort des Jahres.
Die Setlist war ziemlich cool für’s heiße good old Wembley: TVC 15 – Rebel Rebel – Modern love (kreischende Mädchen auf Schultern) – Heroes – und das sagt Bowie so an: “I like to dedicate this song to my son, to all our children and all the children of the world.”
1986 Berlin
Während 1985 also im Zeichen eines eversmiling Bowie im Hochsommer stand, gab es für mich 1986 bei einer Reise nach Berlin eine andere Stimmung, die nur indirekt mit Bowie zusammenhängt: Der erste Berlin-Besuch mit meinem Freund Jarreau führte mich erstmalig an die Mauer. Berlin versprach für uns Abenteuer, Ausgehen und die Erkundung einiger wichtiger Stellen dieser Stadt. Der tiefe Eindruck, den Christiane F. hinterlassen hat, führte uns weit hinaus an die Grenzen von West-Berlin, nach Gropiusstadt. Der berühmte Architekt Walter Gropius hat dort ein Verbrechen an Hochhäusern errichtet, wir sind geschockt als wir an besagtem Wohnort von Christiane F. mehr als 200 Klingeln zählten. Abends gehen wir in’s Linientreu und in’s Metropol. An der Gedächtniskirche wurden für alle Discos Freikarten oder Vergünstigungen an die Touristen verteilt. Im Metropol am Nollendorfplatz haben wir dann ein Konzert erwischt. Die sogenannten Greaser von Zodiac Mindwarp spielten auf, ein schmieriger Glamrock. Das Konzert hat mich nicht so sehr beeindruckt, aber ich habe erstmalig Junkies auf der Toilette des Metropol gesehen. Das hat den Kreis geschlossen und mein Berlinbild verfestigt.
Iggy Pop (habe ich gelesen) und ich teilen die Meinung, dass nach dem Mauerfall Berlin nicht mehr so ist wie zuvor, something is lost. Die Stadt ist entmystifiziert, was auch ein Besuch im Jahr 2015 nochmals unterstrichen hat. Berlin wird wieder kälter und roher, aber ohne bedeutenden urbanen Wandel.
Und was macht Bowie 1986? Er stellt auf Null: Absolute beginners. Auch immer noch einer meiner Lieblingssongs. Kitschig, mit schönem Text. In dieser Woche habe ich ein Gedicht von einem befreundeten Poeten aus Paris erhalten, das mich zum Weinen brachte. Unsere Bowie-Connection hat er ganz wunderbar mit diesem Songtext zum Ausdruck gebracht. Ich umarme Dich dafür!
Der beste Song aller Zeiten
Die Berlinjahre waren bekanntermaßen konstruktiv und wegweisend. Entstanden ist u. a. der beste Song aller Zeiten. Die Guitarre (hier muss der genial Robert Fripp Erwähnung finden), die Stimme, die Haltung, die Stimmung, die Geschichte. Und der Ausblick: We can be heroes forever and ever!
Apropos umdichten: Zu unserer Hochzeit im Jahr 2000 haben unsere Freunde als 30-Mann/Frau-Chor “Helden” angestimmt und mit persönlichen Strophen versehen. Die ersten beiden Strophen habe ich durchgeweint und mich erst zum Ende des Songs wieder gefangen. Das war wunderschön. Und es war nicht die Zeit der Smartphones. Der Akku der Video8_Kamera meines Vaters versagte beim ersten Versuch. Deshalb ist die Erinnerung ausschließlich tief in unseren Herzen. Mit ewigem Dank an den Heldenchor.
Loreley Konzert
1996 gibt es ein Festival auf der Loreley in St. Goarshausen mit Bowie als Headliner. Iggy ist auch dabei, dazu Pulp, Placebo, Heather Nova u. a. Legendär wurde das, weil Bowie mit dem Hubschrauber einflog und sich auf die Bühne hat abseilen lassen. Was für ein Spektakel!
Die letzten 25 Jahre
In den Neunziger und Nuller Jahren ist Bowie als Superstar der Musik autark unterwegs, lässt sich nicht schieben oder manipulieren und seiner Neugier auf neue Musikrichtungen freien Lauf. Das passte für mich in ganz vielen Bereichen und schuf eine Brücke, zeigte aber auch, dass King David verdammt einzigartig ist. Toll war, dass er den Soundtrack zur Verfilmung von Buddha of Suburbia machte. Der Autor des Buches, Hanif Kureishi, gehörte vorher schon zu meinen persönlichen Literatur-Favoriten, v. a. wegen Black Album.
Da bei seinen Filmen in allen Diskussionen Roegs Der Mann, der vom Himmel fiel zitiert wird, will ich hier einen anderen Punkt ansprechen: seine Nebenrolle in Julien Schnabels Basquiat, einer Verfilmung des kurzen Lebens dieses grossartigen Künstlers. David Bowie spielt einen weiteren Helden, nämlich Andy Warhol. Für mich ist es wieder eine perfekte Connection: Lieblingskünstler Basquiat und Lieblingsmusiker Bowie.
Bowies Alben wurden nun dominiert von härteren Guitarren, die Einflüsse von Crossover aber auch von Drum’n’Bass du Jungle wurden ihm wichtig. Live Auftritte mit Rage Against The Machine oder Prodigy haben diese Haltung unterstrichen. Das passte zu mir. Gefreut habe ich mich über Nirvana‘s fulminante Coverversion von Man who sold the world, eine Bereicherung, wunderschön. In den Nullern covert Bowie dann die Pixies und hat sich von u. a. Air remixen lassen.
Die Einflüsse
Die musikalische Entwicklung – insgesamt und auch die persönliche – lebt von Einflüssen. David Bowie hat davon und dafür gelebt, mit großer Offenheit Input zu erlangen und durch seine wegweisenden Meilensteine unzählige Menschen beeinflusst. Für mich wäre der Zugang zu Musik von (to name a few) Bauhaus, Iggy Pop, Brian Eno, Lou Reed und den Velvets samt Nico definitiv anders gewesen, ohne den vorhandenen wechselseitigen Einfluss. Da könnte man ein Buch drüber schreiben. Bei neueren Kollaborationen erscheint es mir eher als Upgrade der Wahrnehmung von bspw. Pet Shop Boys, Arcade Fire oder Scarlett Johansson.
Offenheit, Menschlichkeit, Style und ein sicherer Geschmack, das hat mir an ihm gefallen.
„Everything has changed
For in truth, it’s the beginning of nothing
And nothing has changed
And everything has changed“
Bis gleich, David
John Ross Ewing
Zum Schluss der Facebook-Post von seiner langjährigen Muse und Weggefährtin aus Berlin,
Romy Haag
„now my brother lays upon the rocks
he could be dead, he could be not,
he could be you“, rest in peace, David