James Bond 007 - SPECTRE: Ein Brief an Alan Lomax
Mr. Lomax!
Der Tag und die Uhrzeit hätten nicht besser sein können, die Konstellation im Universum wie geschaffen für einen Kinobesuch, die Stimmung gelassen :-D
Als das MGM- und Columbia-Logo nacheinander erschienen, begann das Herzklopfen. Ein weisser Kreis wandert von links nach rechts und es erklingt die bekannteste aller Titelmelodien mit den fetzigen Bläsern: Die Gunbarrel-Sequence wurde endlich wieder an den Anfang verlegt. Bond is back! Lässig dreht sich Daniel Craig um den Oberkörper und erlegt den Schützen.
Mein Grinsen können Sie sich ja vorstellen.
Vielleicht noch zum Kinobesuch und dem Meilenstein "Wie funktionierst Du?": Ich hatte die 12:00 Uhr Vorstellung gebucht, was sich als richtig erwies, denn mit mir waren nur 6 andere Besucher im Saal. Während der Werbung genehmigte ich mir ein "Ben & Jerrys" Eis mit Schokolade.
Bond ist Kult, Bond ist Geschichte, Bond ist fester Bestandteil des (Deckard'schen) Kinouniversums.
Mein erstes Erlebnis werde ich in diesem Zusammenhang nie vergessen: Weltspiele-Kino am Steintor, Hannover. 18:00 Uhr Vorstellung, MOONRAKER. Starring Roger Moore, Regie Lewis Gilbert, Musik von (dem unvergessenen) John Barry. Unvergesslich auch meine Euphorie, meine staunenden Augen als in einer der spektakulärsten Pre-Titel Sequences aller Zeiten Bond im freien Fall aus einem Flugzeug von Richard Kiel, dem "Beißer" gejagt wird. Furiose Eröffnung! Es folgte der wunderschöne Titelsong von Shirley Bassey und nachfolgend Bonds Weg in das All über Frankreich, Italien und Südamerika. Der Grundstein wurde an diesem Tag gelegt.
Nostalgie ist etwas wirklich schönes.
Gestern schliesslich, 36 Jahre (!) nach jenem Erlebnis nun SPECTRE, erneut im Kino, Bond wird jetzt verkörpert von Daniel Craig, Regie führt Sam Mendes, den Sie Mr. Lomax seit American Beauty und auch Road To Perdition so schätzen!
Insofern war ich gespannt, was die Macher sich dieses Mal einfallen lassen würden. Nun, den Auftakt kann man als gelungen bezeichnen. In einer langen und äusserst spannenden (sowie am Ende rasanten) Sequenz erleben wir, wie Bond in Mexico-City einen Mann verfolgt.
Dann kommt der Moment des Songs und der Titelsequenz. Ich war ein wenig enttäuscht, als ich den Namen Sam Smith las, scheinbar war das Budget aufgebraucht. Der Song war nicht übel, aber dieser Falsett-Gesang ... . Ich hatte mir jemand prominenteren gewünscht.
Was dann folgt mein lieber Freund lässt sich schnell zusammenfassen: Es ist der Versuch eines aufgeblasenen Kammerspiels mit Reminiszenzen an alte Bond Filme unterbrochen von Action-Einlagen. SPECTRE ist ein (Möchtegern) 60'er Jahre Psychedelia-Agententhriller im zeitgenössischen Gewand. Der Film ist zusammen mit IM ANGESICHT DES TODES und DER MANN MIT DEM GOLDENEN COLT der schlechteste Film der gesamten Reihe und ein absoluter Tiefpunkt.
Warum?
SPECTRE hat mit "James Bond" leider so gut wie überhaupt nichts mehr gemein. Der Film ist ein Thriller im Retro-Look. In sich ist die Handlung schlüssig, beginnend mit CASINO ROYALE, EIN QUANTUM TROST und SKYFALL, aber der Versuch der Drehbuchautoren persönliches und familiäre (!) Hintergründe mit in die Reihe aufzunehmen ist vollends und am Ende katastrophal gescheitert.
Natürlich bietet SPECTRE die gewohnten exotischen und mondänen Orte und schickt den Agenten Ihrer Majestät rund um den Globus, die Action-Szenen sind passabel, hauen einen aber nicht aus dem Kino-Sessel, hier und da räkeln sich die Girls in den Betten und es gibt natürlich auch einen Bösewicht.
Mal ehrlich Lomax, was sollen die auch immer wieder neu erfinden? Im Grunde ist James Bond immer das Gleiche und wir sind auch nicht mehr die Zielgruppe (wie die Einpielergebnisse beweisen).
Die Ideenlosigkeit will ich nicht zum Vorwurf erheben, aber das, was ich bereits bei den Vorgängern befürchtet habe, ist mit dem neuesten Bond Abenteuer eingetreten: Das Franchise wurde (aus persönlicher Sicht) zu Grabe getragen. Ich habe mich am Ende von SPECTRE gefragt, ob ein solcher Film-Held im neuen Jahrtausend überhaupt einen Sinn macht? Wie Agenten-Thriller heute aussehen müssen (und können), das hat kürzlich Matthew Vaughn mit seinem sensationellen KINGSMAN - THE SECRET SERVICE bewiesen.
Es ehrt alle an dem Film beteiligten, dass sie alten Bond-Filmen die Ehre erweisen, aber wenn man Craig in einem schwarzen Skianzug aus dem vorherigen Jahrhundert über die Leinwand laufen sieht, sind unfreiwillige Lacher garantiert. Und auch wie bei SKYFALL liegen astronomisch grosse Logik-Löcher in der Luft, aber lassen wir das mit der Logik.
"Was ist mit Christoph Waltz?" werden Sie fragen! Ich sage es Ihnen: Er hat es nicht drauf! Vollkommen überbewertet. Seine Leistung in IB von Tarantino ist ohne Zweifel erlesen, in dem Machwerk DU vom gleichen Regisseur nivelliert sie sich und in SPECTRE bleibt nur noch Tatort-Niveau über. Dafür kann Waltz aber nichts. Der Versuch hier einen klassischen Bösewicht zu integrieren ist gründlich misslungen.
"Was ist mit Daniel Craig?" werden Sie fragen! Craig hat keine Lust den Agenten zu spielen. Das hat er oft genug betont und man sieht es auf der Leinwand. Er war auf dem richtigen Weg, ist hier aber nur noch Karikatur. Physis? Eher peinlich. In fast jeder Szene steht er in hautengen Anzügen breitbeinig in der Gegend herum oder setzt eine Schnute auf. Schade. Zugegeben: Craig hat dem Charakter "Bond" neue Seiten abgewinnen können, schlussendlich hat er aber nicht das konservieren können, was Bond ausmacht (neues Zeitalter hin oder her):
Arroganz, Zynismus, Humor und Nonchalance.
Was wir an Bond lieben ist unbestritten und lockt uns alle 2 Jahre ins Kino: Sein gutes Aussehen, seine Souveränität, sein Allwissen, seine Fähigkeit auch in schier aussichtslosen Situationen Herr der Lage zu sein, seine Weltgewandheit, seinen Erfolg bei Frauen.
Was wir nicht sehen wollen: Grübeln, einen familiären Hintergrund, seine familiären Probleme. Dafür gibt es andere Regisseure, die das zudem besser können.
Um Ihre Frage zu beantworten:
Ich habe den Film gesehen und mein Gesamturteil: Der Film ist eine Katastrophe.
Es gibt für die längste Serie der Kinogeschichte nur noch eine Möglichkeit: Ein künstlerisch-radikaler Neuanfang mit Regisseuren, die Ideen entwickeln und das bewiesen haben. Christopher Nolan z.B. Ansonsten ist es das Ende der Reihe (viel beschworener Quatsch-Satz, ich weiß).
Ich hätte Ihnen gerne etwas positiveres geschrieben, aber wir wollen in Bezug auf das Kino und unsere Leidenschaften stets ehrlich bleiben.
Werden Sie sich den Streifen ansehen?
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