Der Unbestechliche - Mörderisches Marseille von Cedric Jimenez: Meisterhaft!
Es ist kaum zu glauben, dass dieser Film keinen Verleiher in Deutschland gefunden hat!
Verwundert war ich, weil ich 'La French' (Originaltitel) für einen aussergewöhnlich guten Film halte. Nun ist meine Meinung nicht maßgeblich in der Beurteilung der Qualität und Bedeutung eines Filmes, ich will aber im Folgenden versuchen sie zu begründen.
Filme erreichen für mich dann einen hohen (künstlerischen) Stellenwert und eine Bedeutung, wenn Regisseur und Produzent in der Darstellung des Stoffes einen Weg gehen, der sich abhebt vom Mainstream, von einer einseitigen Sichtweise und Mut beweisen diesen (narrativen) Weg auch in seiner ganzen Konsequenz zu Ende zu gehen. Wesentlich ist hierbei der Umstand, dass es eines grossen Mutes bedarf Filme nicht immer so enden zu lassen wie in einem Märchen. Diesbezüglich steht der Film in der Tradition eines grandiosen 'I wie Ikarus' von Henri Verneuil.
http://www.lomax-deckard.de/article-i-wie-ikarus-42656143.html
'La French' erzählt (vordergründig) eine Geschichte über den Drogenhandel mit Heroin im Marseille der 70'er Jahre. Vornehmlich geht es um die "French Connection", die Verbindung der Hafenstadt Marseille mit New York. Über diese Route wurde das Heroin in grossen Mengen in die Vereinigten Staaten transportiert und überflutete das Land. Das Problem wurde schliesslich so gross, das Präsident Nixon die Drogen zum Staatsfeind erklärte, wie u.a. in der Eröffnungssequenz des Filmes in einem Original-Fernsehbeitrag zu sehen ist.
Der unbestechliche Richter Pierre Michel, sehr glaubwürdig verkörpert von Jean Dujardin, der zu Beginn des Filmes als Jugendrichter arbeitet, wird vom Staatsanwalt versetzt und soll fortan wegen seiner Aufrichtigkeit und moralischen Unzweifelhaftigkeit den Kriminellen in Marseille das Handwerk legen.
Sein Gegner ist der mächtige und skrupellose Drogenhändler Gaetan "Tany" Zampa, nicht minder beeindruckend gespielt von Gilles Lellouche. Zampa gerät durch das unnachgiebige und hartnäckige Handeln des Richters mehr und mehr in Bedrängnis.
Mehr soll an dieser Stelle (wie immer) nicht über die Handlung verraten werden, denn sie ist mitunter das grösste Kapital des Films.
Warum vordergründig?
Man kann, ich bin mir nicht sicher ob das beabsichtigt war, vermute es aber, diesen Film auf zweierlei Art betrachten: Als Kriminalfilm oder auf den zweiten Blick als eine sachlich-nüchterne Analyse. Auf beiden Ebenen funktioniert der Film und deswegen ist er so besonders.
Häufig liest man den Begriff "Old School" im Zusammenhang mit der populären Kultur, wie auch in den (spärlichen) Kritiken diesen Film betreffend. Was genau ist das, dieses "Old School"? Gemeint ist die Art, in der in den vergangenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, vornehmlich den Endsechzigern und den Siebzigern, Filme gedreht wurden. Diese "alte Schule" zeichnete sich aus durch einen bestimmten Erzählrhythmus, den Schnitt, die Dramaturgie, das (langsame) Tempo, die Kameraführung, den Realismus, häufig auch durch den Mut sozialkritische Themen gekonnt in Genres einzuarbeiten und mutig Stellung zu beziehen.
Alles übrigens Charakteristika des "New Hollywood".
Genau diese alte, vergangene Art der Filmkunst macht sich 'La French' zu eigen, wenn er die Geschichte erzählt. In dieser Hinsicht war der Film ein Genuss der besonderen Art. Regisseur Jimenez lässt die Handlung um die beiden Kontrahenten rotieren und zeigt uns permanent die beiden Seiten der Medaille, die da heisst: Lebensentwurf (Michael Mann wird der Film in diesem Zusammenhang bestimmt gefallen haben und ich würde wetten Hollywood hat sich die Rechte auf ein Remake gesichert). Das Faszinierende und die grosse Kunst hierbei ist, dass der Zuschauer nicht plump auf die Seite des Gerechten gezogen wird im Sinne einer positiven Identifikationsfigur, sondern er subtil manipuliert wird, was Sympathie und Antipathie betrifft und das, obwohl der "Bösewicht" abgründiger, böser und gemeiner kaum sein. Die Grenzen zwischen "Gut & Böse" sind eben nicht scharf.
Das leitet über zur zweiten Ebene des Films: Die sachlich nüchterne Analyse. Auf dieser Ebene ist 'La French' kein Kriminaldrama, sondern eine meisterhafte Studie über die Wirkmächtigkeit, ungeheure Dynamik und Sogwirkung des Kapitalismus. Die Droge ist, und das ist frappierende, ein Produkt wie jedes andere, das es zu vermarkten gilt mit den Mechanismen des Kapitalismus, die nebenbei bemerkt Jahrhunderte alt sind. Auf bestechende (!) Art und Weise zeigt Jimenez, wie ein Handel aufblüht und welche Methoden erforderlich sind, damit er nicht stagniert. Da sind die üblichen, wie Drohung, Erpressung, Mord. Jimenez geht aber weit darüber hinaus und diese Grenzüberschreitung hebt den Film über die Masse hinaus.
Kunstvoll verwebt der Film diese Ebenen miteinander und inszeniert beide Handlungsstränge so packend und nüchtern zugleich, dass ich nach dem Abspann begeistert war.
Warum mir der Film gefiel, lag vermutlich auch ein Stück weit am Produzenten: Ilan Goldman produzierte u.a. Filme für so namhafte Regisseure wie Ridley Scott, Martin Scorsese und Roland Joffé; der von ihm auch produzierte 'La vie en rose' von Olivier Dahan wurde ein grosser Erfolg und bescherte Marion Cotillard einen Oscar.
Betreibt man eine Internet-Recherche, so erstaunt es, dass kaum eine (eigentlich keine) der grossen Gazetten und deren Redakteure diesen Film gesehen zu haben scheinen. Kein Wunder, Reboots, Remakes und Popcorn-Filme (die auch ihre Berechtigung haben) sind ja wichtiger für den Leser, als ein Film, der sich eines Themas annimmt, das scheinbar keinen interessiert.
1971 drehte William Friedkin den preisgekrönten Klassiker 'The French Connection' mit Gene Hackman als Jimmy "Popeye" Doyle und Fernando Rey als Alain Charnier in den Hauptrollen (unbedingt ansehen, wer ihn nicht kennt!).
Diese Geschichte erzählt Cedric Jimenez nun mit 'La French', diesmal von der französischen Seite aus gesehen und schafft damit das, was Friedkin in den 70ern erreichte:
Einen meisterhaften Thriller.
Aus dem geliebten Kinosaal.
Rick Deckard