Birdman - Alejandro González Iñárritu
Lieber Alan Lomax!
Ich habe den Film heute gesehen und möchte Ihnen deswegen zurückschreiben.
Sie hatten mir am 13. September geschrieben und im Kommentar hatte ich zugesagt mich zu melden, was ich hiermit tue.
http://www.lomax-deckard.de/2015/09/birdman-alejandro-gonzalez-inarritu.html
Birdman ist ein Film, wie ich ihn lange nicht mehr gesehen habe. Ausserdem erinnere ich mich nicht mehr daran, wann ich zuletzt so gelacht habe. Ich glaube es war das letzte Mal bei Barbet Schröders Meisterwerk 'Barfly'. Diese Art Humor ist ganz selten und eine äusserste Gratwanderung, will er gelingen, bei Birdman funktioniert er. Ich musste bei einigen Szenen sprichtwörtlich die Luft anhalten, weil ich nicht mehr konnte. Merkwürdigerweise erinnerte mich dieser Humor an die die 80'er Jahre.
Ja, Sie haben recht, dieser Film ist ein Filtrat unserer Vorstellung und unserer Philosophie über das Kino und damit möchte ich diesen Brief beginnen.
Genauso, wie Sie es zu Beginn Ihres Briefes beschreiben, hat es sich bei Birdman zugetragen. "Schon wieder so ein Oscar-Vehikel!" habe ich gedacht. Allein schon wenn ich diese Lorbeerblätter, oder was immer das sein soll, auf den Filmplakaten sehe, weiss ich: Der hatte 10 Zuschauer, hat einige Fesitvals gewonnen und Kritikern ist beim Schreiben einer abgegangen, ... aber gesehen hat ihn keiner.
Wirklich wahr: Ich hatte diesen Film unzählige Male in der Hand und habe ihn weggelegt. Man entwickelt im Laufe der Jahre ein "Gespür" für Filme, ich kann mich meistens darauf verlassen, im Falle von Birdman aber eben nicht. So wie Sie es geschrieben haben, hat mich dieser Independet - Arthouse Gedanke davon abgehalten den Film zu kaufen.
Dann kamen Sie mit Ihrem Brief. Trotzdem bin ich skeptisch geblieben, weil in letzter Zeit unser Filmgeschmack doch ein wenig auseinander driftete und ich einen weiteren Film, über den Sie im Blog geschrieben und diesen sehr gelobt haben (und über den ich noch irgendwann schreiben werde) als "Quatsch-Film" empfand. Ich wollte gar eine Kategorie so bennenen.
Doch zurück zu Birdman.
Ich hasse diesen Film nicht, noch empfinde ich ihn als eine Zumutung, im Gegenteil, ich liebe ihn und werde ihn über die Jahre immer wieder ansehen und noch mehr lieben. Ich muss zugeben, innerhalb der ersten Viertel Stunde war ich ein wenig hin- und her gerissen, weil er den Sehgewohnheiten(!) so diametral entgegen gesetzt ist, dass man sich allein visuell und auch gedanklich umorientieren muss.
Doch genau diese Zeit ist von Nöten, denn der Film zeigt innerhalb der ersten halben Stunde und auch und v.a. durch die weiteren noch folgenden halben Stunden, warum wir das Kino so lieben.
Ich will diese "technisch-virtuose" Leistung, die Sie in Ihrem Brief erwähnten noch etwas ausbauen, weil sie es verdient. Sie wissen, wie sehr ich beim Film, im Kino auf alles achte, von der ersten Sekunde an. Emmanuel Lubezkis Kameraführung ist als überwältigend schön zu bezeichnen, egal in welchem Zusammenhang. Allein die Ausleuchtung einiger Szenen, die close-ups und das Arbeiten mit der Schärfe, aber v.a. mit dem Licht machen diesen Film optisch überragend! Und ja: Der Schnitt und die Übergänge! Tränen der Freude. Hitchcock hätte diesen Film geliebt glaube ich.
Was mich v.a. aber beeindruckt hat, ist die Verwendung der Musik, sowohl in der Ökonomie als auch in dem innovativen Gebrauch. Antonio Sanchez im Hintergrund im Film das Schlagzeug spielen zu lassen hat fast schon Kultcharakter. Das erste Mal, als man ihn draussen vor dem Theater spielen sieht und dem Zuschauer bewusst wird, dass das der reale Soundtrack ist, von dem Moment an wusste ich, jetzt folgt etwas besonderes.
Ed Norton, aber auch Michael Keatin hätten beide den Oscar verdient gehabt (jetzt einmal nicht ironisch). Grandiose schauspielerische Leistungen! Achten Sie mal darauf, wie selbstverständlich das Spiel von Norton wirkt und was für ein feiner Komödiant er ist. Ed Norton ist fürwahr einer der ganz Großen. Michael Keaton hat mich sehr beeindruckt mit seiner Performance, v.a. seinem physischen Spiel, seiner Körpersprache. Eine echte Tour de Force, mit allen Höhen und Tiefen dargeboten und einer magischen Leinwandpräsenz. Sensationell, insbesondere in den Szenen, in denen Traum & Realität sich vermischen. Auch bei ihm keineswegs zu verachten sein ziseliertes komödiantisches Talent (Sie wissen, welche Szene ich meine, ich will den Lesern nichts verraten). Selten habe ich mich dabei erwischt so zu lachen!
Kommen wir zu einer der bereits jetzt besten Szenen der Filmgeschichte, in der in einer Bar die Theaterkritikerin und Riggan Thomson sich ein wahrhaftiges verbales Scharmützel der Extraklasse liefern. Die Drehbuchautoren hatten hier einen stellaren Moment in ihrer Produktivität erwischt. Eigentlich müsste man diesen Dialog aufschreiben und wie damals den Text von Scorsese unserem Blog voranstellen. Das, was die beiden sich gegeneinander an den Kopf werfen ist die Essenz unserer Leidenschaft für das Kino und der Zwiespalt, über den wir balancieren, seitdem wir das Kino lieben. Furios! Auch in diese Szene konnte ich mich am Ende kaum halten vor Lachen, weil diese Sequenz bei aller Ernsthaftigkeit so unglaublich komisch ist!
Birdman ist die Zusammenfassung der Bedeutung und des Wertes des zeitgenössischen Kinos und das der letzten zwei Jahrzehnte. Eine grossartige Kritik, Hommage und Liebeserklärung an das Kino zugleich.
Danke, dass Sie mich motiviert haben diesen Film zu sehen. Ich werde ihn mir mit Sicherheit noch einige Male ansehen, insbesondere des Endes wegen, nachdem das Bild verschwunden ist und man nur noch ... . Was für ein zauberhaftes Ende!
Die Macht der Vorstellung ist immer noch grösser als das gezeigte Bild.
Ein anarchisches Meisterwerk!
Zwischen den Häuserschluchten Manhattans.
Ihr
Rick Deckard