Kamasi Washington – Clubbahnhof Ehrenfeld
Köln; Dienstag 18.11.2015 Mit akademischer Blue-Note-Ästhetik hat dieser Konzertabend mit Kamasi Washington und seiner Band West Coast Get Down wenig zu tun. Dafür sind die Referenzen zu vielfältig, ist der Ton zu rau und vielleicht sind auch die Möglichkeiten des Handwerks der Musiker zu eingeschränkt. Was aber bleibt ist ein denkwürdiger Abend aus unterschiedlichen Gründen und einige grundlegenden bestätigenden Erkenntnisse:
Das da etwas besonders kommt, sollte allen Musikenthusiasten am Anfang des Jahres gleich klar gewesen sein, als man den 34-jährigen Kamasi Washington aus Los Angeles auf dem Cover seines Albums „The Epic“ gesehen hat. Man sprach direkt von einem Meilenstein der Musikgeschichte und für wahr die 17 Stücke und die 174 Minuten episch Orchestral angelegte Scheibe beeindruckte zu recht nicht nur die Jazzwelt, sondern eben auch den Diskurs interessierten Musikfan.
Der Status des amerikanischen Jazz in diesen Zeiten ist schwer, aber schnell greifbar. Ich habe auf diesen Seiten häufig genug darüber geschrieben. Wenn überhaupt findet er auf Festivals statt, eine Handvoll amerikanische Stars wie Herbie Hancock, den Marsalis Brüdern oder Chick Corea traut man größere Konzerthallen zu, der Rest findet in kleinen Clubs und Kellern statt und kommt weitestgehend aus New York.
Washington spielte bereits als kleiner Junge Jazzmusik. Sein fast unbeachtetes Quartett Young Jazz Giants (Cameron Graves und den Bruner Brothers) lies bereits vor Jahren erkennen, dass es Potenzial gibt (2004). Umgeben von zahllosen anderen Musikern aus der Nachbarschaft und Jugend, schloss sich ein Kollektiv zusammen, das permanent zusammenspielt und Musik aufgenommen hat. Aus der Vielfalt des Materials und der Konstruktion entstand schließlich die Jazzplatte des Jahres THE EPIC. Weiteres aus diesem Umfeld wird folgen, der Fokus richtet sich auf Los Angeles. http://www.brainfeedersite.com/
THE EPIC begeistert durch eine genial angewandte Mixtur des modernen Jazz und seinen Bezügen zum HipHop, Funk und Soul. Eine hörenswerte Konsensplatte, da sie viele melodische Momente hat und experimentelle Einfälle genial in besonderen Klanggebilde darstellt und mit massig Streichern, Chören und anderen Orchesterinstrumenten fusioniert und zusammengefasst wird.
An dieser Stelle wird in anderen Texten zu Kamasi Washington normalerweise die Präsentation bzw. die Selbstdarstellung des Musikers aufgerufen, die viel mit dem Afrofuturismus eines Sun Ras zu tun hat, hier und jetzt aber nicht weiter thematisiert wird.
Was sind das also die Hauptargumente für das dritte Deutschland Konzert in Köln, an diesem weiteren Abend des Terrors?
Denn wenn irgendwas überhaupt eine heilende Wirkung haben kann in diesen Zeiten, dann ist es die Jazzmusik, die sich schon immer gegen das Prinzip der Gleichschaltung in allen Lebensbereichen, aber auch von Politik und Gesellschaft gestellt hat.
Jazz folgt keinen Strukturen und Regeln, ist Improvisation, kann nicht kontrolliert werden und ist gefährlich für Diktaturen und Regime die versuchen Individualismus durch Gleichschaltung zu ersetzen.
Erst langsam bzw. dann euphorisierend wird mir das an diesem Abend bewusst. Denn der Weg Nationalhymnen zu singen, die die „Brüder“ aufrufen zu den Waffen zu greifen, kann nicht der richtige Weg sein, ich glaube da tatsächlich ehr an die Abschaffung der eigenen Identität, wie sie in der afrofuturistischen Utopie und somit auch in der Textur des Kamasai Washington gefordert wird.
Abgesehen von jeglichen subjektiven und posthumanen Theorien, zählt aber wie immer die Musik. Und diese ist an diesem Abend sehr emotional, getrieben, wütend und verhandelbar. Denn natürlich ist das alles nicht neu und im Sinne von Handwerk oder musikalischen Fähigkeiten auch nicht weltbewegend, aber eben fordernd und rau.
Die 2 Schlagzeuger, der famose Miles Mosley am Bass, Pianist Brandon Coleman, einem etwas zu sehr im Hintergrund agierenden Ryan Porter (Posaune), einer Ausdruckstänzerin und Kamasi’s Vater Rickey an der Querflöte und Sopransaxophone, können natürlich nicht die famosen Arrangements der Platte vortragen, dafür aber ein kollektiv kompaktes, fast fiebrig machendes Konzert realisieren.
Kamasi selbst gibt sehr sympathisch und überlegen den Übergroßen Jazzvater, der er sicherlich noch nicht ist, aber es dennoch anstrebt die Wirkung eines Pharoah Sanders oder Sun Ras auf die Bühne zubringen.
Sein Saxophonspiel unterdessen ist ausbaufähig und reicht einfach noch nicht, um Vergleiche zu den großen Vätern und Vettern seiner Zunft herzustellen. Dafür kaschiert er schwierige Improvisationsideen zu sehr mit rauen Tönen und brutalen tonalen Sprüngen, als sie gekonnt mit lyrischen oder poetischen Phrasen in die Brücke zu bringen. Aber final zählt das nicht. Der Habitus bei diesem Konzert ist ein anderer als bei vergleichbaren Jazzkonzerten der Vergangenheit.
Es ist ehr eine Art Aufruf, zu verstehen, dass diese Musik noch lange nicht tot ist, so lange man sie mit atemberaubenden Momenten belegt und als Musiker dem Zuschauer beweisen kann, dass es noch so viel zu entdecken gibt und diese Musik Energien freisetzen kann, wie eben keine andere; …in diesen Zeiten des Kriegs.
All Over The Place
Alan Lomax