Kind 44 - Daniél Espinosa
Die Schlagzeile auf dem Plakat gibt die eigentliche Marschrichtung des Filmes bereits vor:
"Wie findet man einen Killer, der nicht existiert?"
Kind 44, der 6. Film des chilenisch-schwedischen Regisseurs Daniél Espinosa, nach dem Beststeller von Tom Rob Smith aus dem Jahr 2008, funktioniert mehr oder minder auf 2 Ebenen: Als Thriller und als Drama mit historischem Hintergrund.
Der Thriller ist angesiedelt in den frühern 50'er Jahren, einer Zeit, in der die Sowjetunion von Josef Stalin in Form einer totalitären Diktatur regiert wurde. Vor diesem Hintergrund wird die Geschichte ungeklärter Morde an Kindern erzählt, die im Sinne der Herrschenden keine Morde darstellen, sondern "Unfälle", da es im Paradies keine Morde gäbe.
Der Agent des Ministeriums für Staatssicherheit, Leo Demidow, ein Kriegsheld der Sowjetunion, muss die bittere Nachricht den Eltern eines Kindes überbringen, als ein Junge tot entlang von Bahngleisen aufgefunden wird. Bei dem Vater des Kindes handelt es sich um einen Kollegen und ehemaligen Kriegskameraden, was die Aufgabe nicht leichter für Demidow macht. Die Eltern verweigern sich der Aussage, dass es sich um einen Unfall gehandelt haben soll, zumal eine Zeugin den Täter gesehen habe. Demidow kann seinen Kollegen von der Unfalltheorie überzeugen um ihn vor dem Staatsapparat zu schützen, hat aber ein mulmiges Gefühl dabei.
Im Verlauf der Handlung wird die Frau von Demidow der Spionage bezichtigt und um sein Leben und das seiner Frau zu retten, muss er offiziel Moskau verlassen, seinen Dienstgrad aufgeben, um in Volsk, weit weg von Moskau, sein Dasein degradiert in der Miliz zu fristen. Das ruft Spannungen zwischen ihm und seiner Frau hervor, als plötzlich in der Nähe der Bahngleise des Ortes eine weitere Kinderleiche entdeckt wird.
Um es vorweg zu nehmen: Der Film funktioniert eindeutig besser und v.a. beeindruckender als sozialkritisches Drama, denn als 'Who done it' - Thriller. Relativ bald wird dem Zuschauer ersichtlich, wer der Täter ist und die Suche nach dem Serientäter ist, so scheint es, nicht das eigentliche Anliegen des Filmes.
Viel bedrückender und atmosphärisch intensiver wird die Stimmung des Landes zu jener Zeit vermittelt, in der eine Atmosphäre der Unsicherheit, der Mißgunst, des Mißtrauens und der ständigen Denunziation vorherrschte. Keiner war sich seines Lebens und seiner gesellschaftlichen Position sicher, selbst Staatsbedienstete nicht und auch nicht Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Wurde einmal (vollkommen willkürlich) ein Verdacht erhoben, so führte dieser unweigerlich zur Verhaftung und Tod. Einen Prozess und Beweise gab es nicht, nur staatliche Willkür und Gewalt.
Dass der Film diese unmenschlichen Umstände beleuchtet, macht seinen Reiz und auch seine Bedeutung aus. In beklemmenden Bildern wird die stets schwelende Angst verdeutlicht und sie wird förmlich spürbar. Keiner traut dem anderen, keiner traut sich die Wahrheit zu sagen, weil es einen selbst in der nächsten Minute erwischen könnte.
Wir, die wir in Freiheit und Demokratie leben, können uns solche Lebensumstände kaum vorstellen, aber es hat sie gegeben, hier zu Lande und auch in anderen Ländern.
Der Film ist mit Tom Hardy, der omnipräsent zu sein scheint, Gary Oldman und Noomi Rapace prominent besetzt. Hardy liefert insgesamt eine solide Performance ab und spielt den Staatsangestellten glaubwürdig, wenn auch seine mimischen Fähigkeiten eindeutig begrenzt sind, eindrucksvoller agiert da Noomi Rapace mit ihrer einfühlsamen Darstellung. Gary Oldman bleibt die Nebenrolle eines Miliz-Generals überlassen, die ihm kaum Möglichkeiten bietet sein Können zu zeigen und er verblasst in der Gesamthandlung.
Es scheint, als ob sich Regisseur Espinosa nicht ganz im Klaren darüber war, ob Arthouse oder Hochglanz-Thriller, beides ist im Endergebnis zu sehen und führt zu einer gewissen Unbehaglichkeit, weniger wäre da mehr gewesen und in diesem Falle lieber Arthouse als Mainstream.
Der Film (produziert von Ridley Scott) floppte an den Kinokassen (zu Unrecht, wie ich finde).
Trotzdem die Thrillerelemente einen deutlichen Mangel an Spannungsaufbau und Nervenkitzel aufweisen, überzeugt der Film auf voller Länge in der kritischen Darstellung jener Zeit, geprägt von Angst, Gewalt und ständiger Bespitzelung und erzählt nebenbei eine kleine bewegende Geschichte.
Meines Erachtens: Sehenswert.
Rick Deckard