Inherent Vice - Natürliche Mängel von Paul Thomas Anderson

von Rick Deckard  -  30. Juli 2015, 13:23  -  #Filme

Inherent Vice - Natürliche Mängel von Paul Thomas Anderson

Chance vertan.

Oder doch nicht?

Der Film Noir. Eine ausgestorbene Gattung, die Regisseur Anderson versuchte mit seinem neuen Film auf komödiantische Art wieder zu beleben. Die Besetzung ist erstklassig, der Film wurde leider drittklassig. Leider muss man sagen, denn er hätte aufgrund seiner Thematik das Zeug zu einem Kult-Klassiker gehabt, so viel steht nach der Betrachtung fest. Die Schauspieler geben sich alle samt grosse Mühe, den Streifen zum Leben zu erwecken, aber leider stand der Regisseur vermutlich bei der Verfassung des Drehbuches auch unter Einfluss von Drogen und nicht nur sein Hauptdarsteller Joaquin (Wakeen ausgesprochen) Phoenix. Anders ist der äusserst wirre Mix aus Komödie, Film Noir, Kriminalfilm nicht zu erklären.

Dass der Film Noir selten eine schlüssige und nachvollziehbare Handlung hat ist bekannt, nicht erst seit dem legendären The Big Sleep mit Bogart & Bacall (immer wieder sehenswert!). Aber hier wirkt die Handlung gestelzt und verkrampft und auf gewollt gemacht, das ist das grösste Manko an Inherent Vice.

Dabei sind die ersten 30 min. wirklich höchst amüsant und garantieren einige grosse Lacher. Es werden in der ersten halben Stunde Erwartungen geweckt, die im späteren nicht erfüllt werden. Der Film dümpelt vor sich hin und ein langweiliger Dialog folgt dem anderen, Minuten lang, ohne, dass ein Ende absehbar wird.

Ich schrieb zu Beginn von einem Zweifel bezüglich der vertanen Chance, denn auf eine seltsame Weise ist der Film trotzdem unterhaltend und zu keinem Zeitpunkt hegt man den Wunsch auf die Stopp-Taste der Fernbedienung zu drücken, auch wenn die x-te Szene herzhaft zum Gähnen einlädt. Ein Mysterium und zugleich Faszinosum von Inherent Vice. Vielleicht braucht dieser Film Zeit um zu reifen ... (5 Euro in das Phrasenschwein).

Der Zweifel ist begründet durch die Schauspieler und dem Setting der Drogen- und Hippie geschwängerten 70'er Jahre, der Love & Peace Ära, der Kleidung und des Gefühls der Freiheit und Unangepasstheit versus dem spießigen Establishment. Ich weiss es nicht sicher.

Phoenix als heruntergekommer Private Eye Doc Sportello (!) ist Klasse: Schlechte Klamotten, kein Geld, eine heruntergekommene Behausung und ständig zugekifft. Grossartig auch sein "Büro", allein die Szenen, die in diesen Räumlichkeiten spielen, sorgen für wunderbare und humorvolle Momente.

Und dann wäre da noch Josh Brolin: Für mich der grosse Hot Shot und Mime der Zukunft. Er hat dieses berühmte facettenreiche und klassische Leinwandprofil, ist ein äusserst vielseitiger und wandlungsfähiger Mime und wäre in der Lage in die Liga der Superstars aufzusteigen. Überzeugend seine Leistungen in der Vergangenheit, v.a. in dem Coen Meisterwerk No Country For Old Men. In IV hat Brolin einige grandiose Szenen, in denen er sein ganzes Können demonstiert, auch sein komödiantisches und einem vor Lachen fast zum Platzen bringt!

Inherent Vice ist gescheitere Mischung aus Versatzstücken des Film Noir mit Anleihen bei Wes Anderson, Raymond Chandler und einigen 70'er Jahre Streifen. Nebenbei bietet der Film eine der besten Sex-Szenen der Filmgeschichte!

Es sei in Zusammenhang mit Inherent Vice auch an The Long Goodbye erinnert, dem Robert Altman Klassiker mit Elliot Gould in der Hauptolle (auch immer weider sehenswert!).

Hätte Anderson sich nicht nur auf das Potential seiner Schauspieler verlassen, sondern den Film straffer inszeniert und schneller geschnitten (er ist 149 min. lang!) und hätte er einige pointierte Dialoge mehr geschrieben, dann ... .

Ein umgangssprachlicher Klassiker zum Ende: "Hätte, wäre, wenn!"

Es hat aber alles auch sein gutes: Schon lange schlage ich mich mit dem Gedanken herum einen Roman von Pynchon lesen, nun ist es soweit.

Aus L.A.

Rick Deckard

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