Austauschschüler JA oder NEIN! Die persönliche Sicht eines Vater! Oder HEIMAT Re-Remix
Seit Sommer letzten Jahres haben wir eine brasilianische Austauschschülerin in unserer Familie. Wenn ich Menschen davon erzählt habe, wurde ich oft gefragt, was wir dafür bekommen? Die Antwort ist einfach: Nix! Der Grund für die Aufnahme einer fremden Person in den intimen Familienkreis hat andere, nicht monetäre Gründe. Man sollte sich dieser Tatsache bewusst sein. Denn Zusammengefasst ist es so, dass man erstmal einen Gast in der Familie hat, der nicht von heute auf morgen eine neue Tochter oder ein neuer Sohn wird.
Die Quote der Abbrüche oder Familienwechsel ist sehr hoch. Was meine grundsätzliche Meinung bestätigt, dass entweder der Austauschschüler/-in oder die Gastfamilie die Situation unterschätzen bzw. die beiderseitige soziale Kompetenz überhaupt gar nicht vorhanden ist.
Zudem gehört natürlich auch ein wenig Glück dazu, was die sogenannte „Chemie“ angeht. Allerdings hat man bei der Vorauswahl (Profilcheck) die Möglichkeit, Austauschschüler, wie in einem Bewerbungsverfahren mit den familiären Gegebenheiten und Interessen abzugleichen, umso komplette Unterschiede von vornherein auszuschließen. Und dann gibt es ja auch noch die Kennenlernphase vor dem eigentlichen Besuch. Email, Skype, Foto- und Filmaustausch nehmen stark die Spannung und evtl. Erwartungshaltungen im Vorfeld, um immer noch kurz vor knapp „nein, das passt nicht“ sagen zu können oder um festzustellen, dass es keine gegenseitige Empathie gibt. Denn Desinteresse in dieser Phase, von welcher Seite auch immer, kann nur ein schlechtes Zeichen sein!
Unsere Austauschschülerin kommt aus Chapecó, einer kleinen Stadt im Bundesstaat Santa Catarina in Brasilien. Die Frage, warum sie sich ausgerechnet Deutschland ausgesucht hat, beantwortete sie schon recht früh, sehr selbstbewusst mit dem Satz: „Ich weiß auch nicht, ich wollte schon immer nach Deutschland!“.
Das diese Aussage eine tiefergehende Bedeutung hat und sich im Prinzip einen genealogischen Kreis schließt, sollte sich nun an dem letzten Wochenende bestätigen, an dem wir auch ihre Eltern und ihre Schwester kennen lernen durften, da sie ihre Tochter persönlich in Köln abgeholt haben.
Würde man ein Psychogramm meiner Charaktereigenschaften auf Basis der hier im blog geschriebenen Einträge erstellen, könnte man sehr schnell feststellen, dass der Autor (ich!) im Prinzip ein egoistischer, selbstverliebter, mit hohen Erwartungen anderen gegenüber ausgestatteter Neurotiker ist. Der zwar an das Gute in den Menschen glaubt, aber auch vermutet, dass hinter jeder Ecke das Böse lauert. Nicht gerade die beste Voraussetzung für die Gründung einer Familie, mit dem Extra-Los eine Gasttochter aufzunehmen.
Und was meine Familie angeht: Die weiß sehr genau, dass ich ein Prediger bin! Selbst faul, missmutig und nihilistisch. Von anderen aber erwartend aufrichtig, gutgelaunt und optimistisch zu sein. Aber die können damit umgehen und natürlich haben selbst mein Sohn (12), meine Tochter (16) und Mrs. Lomax (bei 35 Jahren aufgehört zu zählen) Ihre Marotten. Auf die ich hier gar nicht eingehen möchte.
Schön, dass da auf einmal im letzten Jahr ein junges Mädchen in unsere Familie kam, die sich gänzlich ohne Allüren, ständig gut gelaunt und extrem humorvoll vorstellte. Denn wie sollte dieser Austausch funktionieren, wenn noch ein weiterer Profil-Neurotiker in diese Familie gekommen wäre?
Zum Glück ist das nicht der Fall gewesen. Ich kann natürlich nur meine Sicht bewerten. Aber offensichtlich haben wir ihr das Gefühl einer zweiten Familie gegeben. Zumindest betonte sie das bei den Abschiedsfeiern stark: Nicht Gastfamilie, sondern zweite Familie! Da bin ich ein Stück weit stolz drauf und ich denke, das fasst die Emotion, die viel größer ist, für diesen Bericht gut zusammen.
Aber ist es denn auch für uns so, dass wir eine neue Tochter, eine neue Schwester bekommen haben? Nein! Denn in Wirklichkeit wird, dass niemals so sein und fängt man an, die Bedeutung dieser leicht daher gesagten Bürde zu verstehen, darf das auch nicht so sein!
Aber wir als Familie haben einen Menschen kennengelernt, der unser wahrhaftiger Freund bzw. Freundin geworden ist. Die Zukunft, die Entfernung und der beidseitige kommunikativen Einsatz wird die Zukunft bestimmen. Viel wichtiger aber finde ich die Gegenwart, die uns allen gelehrt hat uns gegenseitig mehr zu respektieren und zu verstehen. Und uns im täglichen Zusammenleben gezeigt hat was es bedeutet, sich selbst wichtige Freiräume zu schaffen, diese gegenseitig zu respektieren und gleichzeitig trotzdem ein ausgewogenes gemeinsames Leben zu führen, um so viel gemeinsamen Spaß als möglich zu haben.
Was ich zudem gewinnbringend finde und was mich tatsächlich zufrieden stimmt, ist die Art und Weise, wie dieses fremde Mädchen hier von Freunden und Familien aufgenommen wurde. Es gab niemanden, dem ich unterstellen würde, dass er –sie– als nicht für eine „Lomax“ gehalten hätte bzw. so aufgenommen hat.
Richtig spannend war es zu beobachten wie dieses portugiesisch sprechende Mädchen, nach wenigen Wochen deutsch sprechen konnte und sie mehr und mehr über die Menschen in diesem Land und der Geschichte in diesem Land verstanden hat. Auch wenn eine gewisse Oberflächlichkeit nicht abzusprechen ist, was aber kein Vorwurf ist, sondern auf verschiedene Umstände zurückzuführen ist, so kann man ihr doch eine große Sensibilität für die großen Themen attestieren.
Warum sie immer nach Deutschland wollte und warum ihr Interesse an Sprache, Geschichte und Kultur dieses Landes schon immer so groß war, beantwortet sich stark in den letzten Wochen und final am letzten Sonntag.
Bereits vor einigen Monaten ist uns aufgefallen, dass es zwischen unserer deutschen Lieblingsgeschichtsverfilmung HEIMAT von Edgar Reitz und der Herkunft der Urahnen unserer Gastschülerin Parallelen gibt. Insbesondere der Film DIE ANDERE HEIMAT – CHRONIK EINER SEHNSUCHT (2013) der Reihe thematisiert auch die Geschichte der Familie unserer brasilianischen Austauschschülerin, deren Ahnen aus dem Saarland kommen.
Der Film HEIMAT erzählt von einem Bauernjungen, der davon träumt, auszuwandern und ein neues Leben zu beginnen. Ebenso wie es der Vorfahre „Nikolaus“ unserer Gastschülerin einst um 1800 tat, um nach Brasilien auszuwandern.
Diese stummen, verzweifelten Abschiede und diese Perspektivenverschiebung hatten es mir und Mrs. Lomax, die zudem schon immer ein Faible für Auswanderungsgeschichten hat, besonders beeindruckt. Und zwar so sehr, dass Mrs. Lomax Kontakt mit dem Heimatverein in Dautweiler aufgenommen hat, um mehr über die Vorfahren unserer Gastschülerin und ihrer Eltern zu erfahren.
Praktisch also, dass wir nun am Sonntag direkt dort hinfahren konnten, offenherzig vom dortigen Heimatverein empfangen wurden, um gemeinsam mit unserer neuen Freundin und Ihrer Familie mehr über die Vorfahren zu erfahren. Unfassbar gründlich wurden uns dort die Ahnengalerie präsentiert und das Geburtshaus des UrUrUrUR-Ahnen. Ein unglaublicher Augenblick, der mich noch immer starr werden lässt. Schließlich ist dieser Platz mitten im heutigen bürgerlichen Wohngebiet, der Grund, warum wir auf einmal mit den Brasilianern dort stehen. Und letztendlich ist es der Grund, weshalb diese Menschen –die wir schnell in unser Herz geschlossen- in Brasilien leben und nicht in diesem kleinen Dorf im Hunsrück.
Und abgesehen davon erklärt es auch, warum ein kleines Mädchen in Brasilien schon sehr früh den Wunsch hatte nach Deutschland zurückzukehren.
Ich denke wir sind es allen Angehörigen schuldig gewesen, diese Spurensuche zu erledigen.
Und so schließt sich mein immer in 70mm denkender filmische Geist, der nicht nur vom Kino, Wahrhaftigkeit, sondern auch vom Leben eine Spannung und Dramaturgie, erwartet, die im Cinemascope-Format stattfindet.
Liebe Deine Stadt - Lara Jörns - www.lomax-deckard.de
Gäbe es sowas wie einen Genreschwierigkeitsgrad beim Filmemachen, würde das Genre Dokumentarfilm, nach der Komödie den zweiten Schwierigkeitsplatz einnehmen. In einem Dokumentarfilm geht es um d...
http://www.lomax-deckard.de/2015/01/liebe-deine-stadt-lara-jorns.html
Abspann:
Die Bedeutung HEIMAT hat während des Aufenthaltes unserer Gastschülerin eine große Bedeutung. Meine Tochter hatte in der Zeit ihren ersten Film „Heimat“ für die YOUNG DOGS (Junge Akademie für Dokumentarfilm) gedreht und auch ich habe mir häufig und auf Grund familiärer Ereignisse die Frage über die Verlorenheit des Einzelne gestellt und was es bedeutet Sehnsucht nach einem Platz zu haben, wo man hingehört.
Viel spielt in diese Überlegung mit ein; insbesondere die Erkenntnis gegenüber der Vergänglichkeit, einem Thema, welches bei mir persönlich, im Laufe des Altwerdens eine immer größere Bedeutung bekommt.
Und so schließt sich thematisch dann zumindest für mich persönlich eine sehr schöne Zeit, in dem wir eine neue Freundin gewonnen haben. Mir die Wichtigkeit des für mich wirklich immer schon sehr bedeutungswürdigen epochal Werk HEIMAT noch einmal live aufgespielt wurde und wir gemeinsam als Familie so viel an Zusammenhalt, Würde und Loyalität dazu gewonnen haben, dass ich als Fazit auf die Antwort, ob man eine(n) Austauschschülerin aufnehmen sollte, nur mit JA antworte kann, vorausgesetzt, man selbst steht mitten im Leben, hat seine Allüren im Griff, eine persönlichen Plan, keine massiven familiären Probleme und ist einigermaßen entspannt!
Alan Lomax
Beachten Sie bitte die u. s. Links des HISTORISCHEN VEREINS HASBORN-DAUTWEILER und der Austauschschüler Agentur Stepin. Denn faktisch muss man sagen, dass eine professionelle und engagierte Agentur auch ein wichtiger Eckpfeiler für die ganze Geschichte ist!
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