WEEKENDFEST #4 - Köln, 28.11.2014
Mülheimer Stadthalle
Köln, 28. November 2014
Jaakko Eino Kalevi
Mdou Moctar
Kate Tempest
ESG
Nite Jewel
Jarvis Cocker DJ-Set
Vorherige Einträge
WEEK-END#1
http://www.lomax-deckard.de/article-week-end-festival-koln-roedelius-schneider-91064214.html
WEEK-END#2
http://www.weekendfest.de/weekendfest/2012/press.html
WEEK-END#3
http://www.lomax-deckard.de/article-www-weekendfest-de-koln-13-12-14-12-2013-120864457.html
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Dieses Musikfest ist gemacht für Musikliebhaber, von Musikliebhabern. Hier geht es nicht um Kommerz, um die Regeln des Musikgeschäftes oder um aktuelle Strömungen. Auch Genregrenzen werden demontiert. Es geht einzig und allein um die Freude an der Musik, für die Zuschauer, von den beiden, zur Zeit wichtigsten Kölner Pop-Kuratoren Jörg Waschat und Jan Lankisch.
Alles andere wurde bereits geschrieben, gesagt und abgehandelt. Konzentrieren wir uns also auf das wesentliche: Auf die Musik!
Ich habe mich dieses Jahr entschieden nur an einem Abend teilzunehmen und habe mir wegen der Band ESG und Kate Tempest den Freitagabend ausgesucht. ESG haben vor sehr langer Zeit die Single „You’re No Good“ auf Factory Records veröffentlicht. Etwa zur gleichen Zeit veröffentlicht die englische Band A Certain Ratio auf dem gleichen Label. Natürlich spielen A Certain Ratio auch auf dem Kölner Insider Festival, allerdings erst am Samstag.
Eben genau dieses Expertenwissen (in diesen Kreisen oftmals fälschlicher Weise Nerdwissen genannt) zeichnet das Weekendfest von Zuschauer- und Kuratorenseite aus. Natürlich sind beide Bands wegweisend und stehen für zwei andere Bands, die im wesentlichen Musikbegeisterte Menschen wie mich sozialisiert haben. Einerseits ist da Joy Division/New Order, deren Einfluss auch A Certain Ratio waren. Und andererseits sind da die Talking Heads, deren White-Funk, ohne den Black-Funk-Minimalismus der ESG-Schwestern aus New York, etwas weniger geschmeidig aus den Tanzschuhen gekommen wären.
Überhaupt ist es ja auch die Single „Ufo“ von ESG, die als eine der meist gesampelten der Musikgeschichte gilt. Der schrille Gitarrensound/-effekt taucht so mit nicht nur bei den Beastie Boys oder Gang Starr auf, sondern auch die beiden, sich ewig in den Haare liegenden East- and Westcoastboys, Notorious B.I.G. und Tupac Shakur.
Klar, dass auch den beiden Festivalmacher das was bedeutet. Nicht zuletzt haben sie vor zwei Jahren den Tom Tom Club nach Köln geholt, Brian Eno schwebt sowieso über und in der Mülheimer Stadthalle und Manchester ist heimliche Partnerstadt des King Georges. Dem Club, der wohl der Zeit einer der sensationellsten in ganz Europa ist. Und das sage ich nicht als Lokalpatriot (im wahrsten Sinne des Wortes „Lokal“; oh Gott, …verzeihung für dieses verbale Gelämmere).
Dieses Festival muss man sich erarbeiten. Am besten das ganze Jahr über, denn es stiftet zum Rumstöbern in der eigenen Platten- und Popbuchsammlung an und erinnert noch mal an den Satz unseres Mentors Martin Scorsese der diesen Blog geprägt hat und davon erzählt, dass sich in der Kunst immer alles fortsetzt und in Zusammenhängen steht.
Diese Zeilen schreibe ich gerade kurz vor 18:00 Uhr, bevor ich auf die andere Rheinseite fahre. Ich freue mich sehr auf diesen Abend mit Freunden, netten Mitbesuchern, tollen Bands, Entdeckungen und einer langen Nacht, da ich natürlich an die DJ-Fähigkeiten des Jarvis Cockers glaube. Über den Abend schreibe ich dann am Wochenende. Let’s go…
Mülheimer Stadthalle kurz vor Sieben! Es ist leer! Ich bekomme etwas Angst, dass der Abend floppt. Später ist die 1.450 Stehplatz fassende Halle zumindest halb voll.
Obwohl bereits bei einigen Schallplattenbörsen und auch im letzten expeziert: Diese Location ist einfach wundervoll. Ein 1970er Jahre Designtraum mit versteckten Clubräumen. Aber dazu später mehr.
Der Abend beginnt mit dem recht langweiligen und gelangweilten Jaakko Eino Kalevi aus Finnland. Wieder einer diese Fälle, von denen ich in letzter Zeit häufiger geschrieben habe! Die schlecht und insgesamt flüchtig programmierten Tracks laufen über Ableton, ein wenig zusätzliches geschraube am Korg MS-10 und ein Live-Schlagzeug, damit kann man keine Begeisterung mehr entfachen. Insbesondere nicht, wenn dem Künstler überhaupt eine gewisse Live-Präsenz fehlt.
Es folgte der spannende Gitarrenact Mdou Moctar aus der Azawagh Wüste Nigers. Wirklich wahr! Und die Typen treten auf, wie so Tuarektypen eben aussehen. Das macht erstmal interessant und die Leute neugierig. Ist aber eigentlich gar nicht notwendig, denn die drei Musiker produzieren einen recht psychedelischen Drive und irgendwie amerikanischen, rockenden Groove der an viele Lieblingsbands erinnert. Dem Publikum gefällt’s und so wird Mdou wieder mal abgefeiert (bereits ein sehr kurzer Auftritt im Sommer auf dem Dach des Museums und im Vorfeld der grandiosen Parquet Courts) und schaut einer bestimmt guten europäischen Festivalzukunft entgegen.
Während des Konzertes der Tuarektypen stehen drei kleine englische Mädchen plappernd vor mir. Erst dachte ich noch plappert doch nicht so viel, dann viel mir auf, das bei diesen Mädchen -auch die von mir sehr geschätze Kate Tempest- dabei steht. Sie trinkt Tee und gigelt mit Ihren Freundinnen über Mdou Moctar, der in Wirklichkeit und unter seinem Wüstenkostüm, natürlich ein sehr gut aussehender Mann ist.
Die folgende Stunde wird dann das Konzerthighlight des Jahres 2014 für mich werden. Und ja es ist wahr. 2014 sind es nicht Damon Albarn und FKA Twigs, die zwar duch die Medien gejagd werden und ruhmreicher unterwegs sind und ja auch toll sind; …in unserer Wirklichkeit sind es die Undergroundhelden „Young Fathers“ und eben die junge Dichterin Kate Tempest, die die englische Undergroundmusik in der Welt bekannt machen und Menschen überall beeinflussen. Dafür gewannen sie eben auch den Mercury Price für das beste britische Album. Wenn man bedenkt wer das in Deutschland sein würde, würde man aufhören Musik zu hören.
„Everybody Down“ ist Tempest erstes Album und wahrhaftig (und meine Güte) es ist umwerfend. Weil es so unfassbar ehrlich, authentisch ist und weil dort musikalisch so unkompliziert mit HipHipMusik umgegangen wird, wie schon lange nicht mehr. Die Platte erzählt ja eigentlich eine Geschichte und normalerweise spielt sie die Platte wohl auch in der richtigen Reihenfolge live, was heute Abend in Köln natürlich, aufgrund der Zeitfenster nicht geht. Denoch beeindruckt die kleine Kate. Denn dieses Mädchen ist komplett unauffällig, scheint aber wie ein neues noch nie dagewesener Poptyp. Lange rötliche Haare, schlechte Kleidung, schlechte Schuhe, schlechte Haltung. Alles andere als ein Popstar. Aber auch nicht dieser Typ von Castingshowtalent, den alle mit einem besonderen Talent beeindruckt. Sondern ein neues Fabelwesen aus Gottes Hand der Popkultur.
Die Spannund der Livedarbietung funktioniert, durch zwei halbwegs analog spielende Schlagzeuger und eben ihren beiden Freundinnen zur Gesangsunterstützung und an den Reglern. Kate ist dabei nicht immer ernst, nicht ermahnend und auch gar nicht schlaumeiernd, sondern unglaublich sympathisch, unterhaltsam, aber auch böse. Wie groß die ganze Idee hinter ihr ist und wie interessant es vermutlich sein wird, sie auch in der Zukunft nicht aus dem Auge zu verlieren, zeigt die beunruhigende letzte Nummer „The Heist“.
Wie schön es sein könnte mal einen Abend eben nicht irgendwelche Indiebands mit der ewig leiernden Musik á la Owen Pallett zu hören oder dem ewigen geschraube an irgendwelchen Reglern oder den immerwährenden Gitarrenteppichen, sondern eben auch einmal ein paar Beats, Bridges und Breaks zu hören, ließ mich, wie in diesem Text, anfänglich erwähnt, sehr sehr gespannt auf E.S.G. warten. Aber meine schlimmste Befürchtung wurde bestätigt. Das musikalische Potenzial der Schwestern aus der South-Bronx reichte leider nicht aus um micht zu begeisternd und um mit raushängender Zunge, an die tatsächliche Wichtigkeit dieser Band zu glauben. Es gibt soviele wundersame amerikanische Livebands aus dem Soul-, Funk und HipHop Umfeld, die seit Jahrzehnten durch die Welt touren, die einen Lachfall über die handwerklich bedenkliche Performance dieser Band, bekommen hätten. Und zwar zu recht, ich steige mit ein bzw. direkt aus, da ich zu viel Respekt vor Künstlern auf der Bühne habe, als das ich sie auslachen möchte.
Interessanter Weise ging es danach in den Keller! Es trennte sich die Spreu vom Weizen und so fanden sich ca. 300 Menschen einige Minuten später im Clubraum der Mülheimer Stadthalle wider. Ein Raum wie aus den 1970er Jahren, als hier James Last und Hugo Strasser ihre wilden After-Show Party’s feierten. Immer wieder unfassbar, was für verborgene Räume es in Köln immer noch zu entdecken gibt.
Dann kam Nite Jewel mit dem wohl denkbar langweiligsten Auftritt des Abends! Was aber auch an der Aufgeregtheit des Publikums lag, nun in diesem Edelparty-Keller zu sein und eben nicht mehr im großen Saal. Natürlich mussten nun viele mit ihren Freunden diskutieren, ob sie nun doch noch bleiben oder gehen und so enstand viel Unruhe. Meine Damen und Herren es folgte Jarvis Cocker und sein DJ-Set.
Nur noch ein paar Worte dazu: Jarvis Cocker sah sehr, sehr cool und extrem sympathisch (ich liebe Tweed) aus. Es war interessant über vierzig Jährige Frauen zu beobachten, die sich wie Teenies um das DJ-Pult verteilten um ihn zu sehen. Seine zuerste aufgelegten Songs, waren eine schöne Reminiszenz an die 1960er, was aber auch nicht anders zu erwarten war. Leider war der Sound sehr schlecht und alles hörte sich an, als wenn es aus einem Kassettenrecorder kam. Also der Sound!
Eine interessant Nacht ging zu ende! Ich fahre glücklich und mit vielen Eindrücken, leicht besoffen nach Hause und freue mich auf nächste Jahr, wenn die Weihnachtszeit wieder mit diesem geglückten Festival beginnt und ein interessantes musikalisches 2016 endet.
Alan Lomax