Swans, Gebäude 9 Köln, 24.10.2014
Mit den beiden Alben THE SEER (2012) und TO BE KIND (2014) hat sich die amerikanische Post-Industrial-Noise-Band SWANS künstlerisch neu erfunden und den Themenbereich Liveunterhaltung um eine Sensation erweitert.
„Schwäne sind diese schönen Tiere, die in Wahrheit komplett widerwärtig sind. Sie sind abscheuliche Wesen.“ (Michael Gira: Reflex, Ausgabe 03/1988). Wer mal Zeit an einem städtischen Entensee verbracht hat, wird die Aussage des Gründers und Bandchef bestätigen.
Michael Gira sieht aus wie die Reinkarnation des modernen Großstadtcowboys, wie wir Westeuropäer uns diesen Stereotypen aus Filmen von David Lynch, Derek Cianfrance oder Nicolas Winding Refn vorstellen: Hager, Gewalttätig, Überdimensional! So einen hat das Leben gezeichnet. Massiver Drogenkonsum mit 12 Jahren, hundertmal ausgerissen, um die Welt gereist. In der Türkei im Knast gesessen, in Minen und auf Bohrinseln gearbeitet und immer den Punk im Kopf. 1982 gründet er die Swans, deren Cover-Version von Joy Division’s „Love Will Tear Us Apart“ noch immer die schönste der Welt ist, aber mit der eigentlichen experimentellen Idee der Band wenig zu tun hatte.
Die Bandbiographie liest sich wie vielschichtig, turbulent und frustrierend. Münden tut das künstlerischer Schaffen auf Giras eigenen Label YOUNG GOD RECORDS. Meist produziert Michal Gira selbst. Devendra Banhart, Ulan Bator und Angels of Light sind wohl die bekanntesten Veröffentlichungen.
The Angels of Light waren dann auch ehr eine tatsächliche Light-Version der Swans. Gira setze hier ehr Melodien und klassischen Popkompositionen.
Die Musik der Swans zu beschreiben ist Irrsinn und Wiederspruch an sich. Die Frage warum Musik als Kunstform immer strukturell oder schön sein muss steht nicht unbedingt im Wiederspruch zu den tief zum Sarkasmus neigenden Texten.
Live sind die Swans dann auch ehr Darbieter von Soundcollagen. Sie bieten dem Körper allergrößte Möglichkeit zur Reaktion. Von der kompletten Anspannung des gesamten Muskelaufbaus bis zur fast esoterischen Entlastung aller bösen Gedanken und Verkrampfungen die in unserer Psyche und unserem Geist so drin stecken.
Im Mai habe ich Bohren und der Club of Gore in der Kölner Philharmonie gesehen. Eine Kernaussage der Band ist es absichtslose Musik zu machen. http://www.lomax-deckard.de/article-kreidler-bohren-der-club-of-gore-koln-philharmonie-09-05-2014-123590797.html Das Gegenteil war der Fall. Durch die schwere, langsame und düster wahrgenommene Grundstimmung, entstehen ehr Gefühle die Anfällig für Melancholie oder Trauer sind. Ich erwähne das, weil beide Bands durch ihre Spielart versuchen einen explizit individuellen Weg zu gehen. Interessant bei den Swans im Vergleich ist die Tatsache, dass trotz der scheinbar progressiven Art keine Schwermut entsteht, sondern dunkel motivierte Lebensfreunde. Anders bzw. persönlich ausgedrückt: Ich empfinde etwas selbstbestimmtes und habe das Gefühl, dass ich bei dieser Musik einer Willensfreiheit folge, die mir gefällt.
Die Idee dieser Band konzentriert, inhaltlich und aufmerksam zu folgen, kam mir in einer lauen Maiennacht unter dem Sternenhimmel von Barcelona. Die Swans spielten um 02:00 Uhr Nachts auf der Ray Ban Bühne des Primavera Sound Festivals. http://www.lomax-deckard.de/article-primavera-sound-festival-2013-reizvolle-uberflutung-und-das-collegia-musica-der-neuzeit-118138656.html Langjährige Konzertbesucher kennen dieses Gefühl, wenn sich auf einmal alles fügt und alles ganz klar wird. Musik, Körper, Geist, Augen, Ohren, Sinne, Verstand, Gefühl und Handlungsfreiheit sich in der konkreten Konzertsituation verschmelzen. Determination!
Ich war sehr neugierig darauf, ob dieser Abend in Spanien nun eine Illusion war und meine willentliche Entscheidung mich fast 2 Jahre getäuscht hatte und ich mich umsonst in fast religiösen Musikalischen Wahnsinn reingesteigert hatte.
Am Freitag im Gebäude 9 wurde dieser irrsinnige Gedanke meiner eigenen Zurechnungsfähigkeit, bereits am Ende der ersten Collage nach 20 Minuten wiederlegt. Nach dem das Konzert von der New Yorker Noise Künstlerin Pharmakon infernalisch eröffnet wurde, kam die düsteren Herrn der Band auf die Bühne. Der bärtige Thor www.thorrob.bandcamp.com eröffnet mit „Tubular Bells“. Mike Oldfields gleichnamige Overdub Scheibe hat damit natürlich nichts zu tun. Thor bearbeitet fast 20 Minuten die sowieso schon sehr selbsttönenden „Röhrenglocken“. Laut! Hinzu kommen alle anderen Musiker, Gira zum Schluss setzt den Kontrapunkt. Was dann passiert ist atemberaubend. Aus den unerträglichen Schwingungen wird Musik. Knochentrockene Gitarrenriffs ertönen mit rhythmischer Präzision auf mich ein. Alles wird egal. Emotionaler Zusammenbruch. Ich muss raus!
Tatsächlich benötige ich fast eine Stunde um mich wieder zu sammeln. Erst langsam nähere ich mich wieder dem Konzertraum. Finde mich wieder ein und genieße den Rest des Konzertes, welches staunende, begeisterte Zuschauer und einen sehr entspannten Michael Gira zurücklässt. Der gerne Autogramme gibt und für Auskünfte zur Verfügung steht.
Ich auch!
Alan Lomax
Primavera Sound 2013