30 Jahre Spirit - Das Fanzine für Film, Theater, Musik, Literatur & Hörspiel / Eine schriftliche Hommage in zwei Teilen - Die ersten 15 Jahre 1984 - 1999 TEIL I
EINFÜHRUNG
„Tatsächlich aber ist es die Ehrfurcht, die wir unserem eigenen Dasein entgegenzubringen haben, die uns anhält, uns immer selber treu zu bleiben, indem wir auf jede Verstellung, von der wir in dieser oder jener Lage Gebrauch gemacht hätten, verzichten, und im Kampfe, durchaus wahrhaftig zu bleiben, nicht erlahmen.“ (Albert Schweitzer)
Mein Freund Marc Hairapetian hat mich gebeten, „etwas über das Jubiläum vom SPIRIT“ zu schreiben! Ich musste nicht lange nachdenken um zuzusagen, verkrampfte aber umso mehr, als ich begann, diesen Text niederzuschreiben.
30 Jahre SPIRIT bedeuten objektiv gesehen eben nicht nur eine weitere Erinnerungsfeier für irgendein Kulturmagazin, 30 Jahre Spirit beschreiben für mich auch subjektiv 30 Jahre Freundschaft mit dem Erfinder, Herausgeber und Journalisten Marc Hairapetian, sowie 30 Jahre Leidenschaft für Film, Theater, Musik und Literatur & Hörspiel. Ich habe mich entschieden, eben nicht nur „ein paar Zeilen“, sondern eine zweiteilige Hommage zu schreiben, weil ich wegen dem SPIRIT verstanden und von Marc Hairapetian gelernt habe, dass man seine Liebe zur Kunst und zur Kultur auf zwei wesentliche Dinge reduzieren muss: „Leidenschaft“ und „Wahrhaftigkeit.“
Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt, der lasse sich begraben. (Johann Wolfgang von Goethe)
Um zu verstehen, welchen Wert ein Magazin wie der SPIRIT heutzutage haben könnte, welche Visions- und Umsetzungskraft es aber gekostet haben muss, so ein Magazin Mitte der 1980er Jahre zu etablieren und um zu verstehen, was für ein ruheloser Charakter/Geist Marc Hairapetian ist, muss Folgendes unbedingt verstanden werden: Marc Hairapetian und der SPIRIT sind untrennbar, daher schreibe ich von jetzt an nur noch vom SPIRIT, manchmal von Marc.
Der wohl größte Verehrer und Verfolger des großen Schauspielers Oskar Werner ist wohl dieser mit dem „Bonus der Jugend“ ausgestattete Marc Hairapetian (geboren am 06. Februar 1968 in Frankfurt). Es gibt kaum jemanden, der die Kunst und das Vermächtnis des Österreichers so hoch hält, wie dieser Journalist und Cineast aus Berlin. Klar, dass er sich auch mit den Worten des Vorbilds und Helden kleidet. Mir soll es recht sein, denn somit sind beide Persönlichkeiten leicht und würdevoll zu beschreiben:
„Zwei Luxusartikel habe ich mir immer geleistet: Zeit und Charakter!“ (Oskar Werner)
Um eine Hommage zu formulieren, bedarf es einer ordentlichen Ladung Subjektivität und persönlicher Note. Letzteres bitte ich bereits an dieser Stelle für all’ die zu entschuldigen, die nicht dabei waren. Gleichsam bedanke ich mich aber für das weitere Studium dieser Lektüre, denn es wird sich letztendlich auch um 30 Jahre Pop- und Filmkultur handeln. Letztendlich war der SPIRIT auch Vorbild für diesen blog und natürlich stehen wir im Geiste der „Leidenschaft“ und der „Wahrhaftigkeit“, der „Zeit“ und des „Charakters“ in seinem Schatten.
Man müsste ein alternatives Universum publizieren können (Jerry Garcia)
WIE WIRD MAN HERAUSGEBER, ANZEIGENLEITER, REDAKTIONSLEITER UND CHEFREDAKTEUR VON EINEM MAGAZIN?
Die Antwort ist einfach: Man publiziert selbst und macht es einfach! Aus heutiger Sicht ist das leicht gesagt: Computer an, Textprogramm laden, schreiben, Fotos laden, Nachbearbeitung und bei einer Online-Druckerei hoch laden. Ausdrucken, verteilen, fertig! Günstige Vervielfältigungsmöglichkeiten und fehlende Vertriebsstrukturen gibt es allerdings auch heute nicht im deutschen Zeitschriftenmarkt. Neben den fehlenden Netzwerken, Plattformen und Interessierten sicherlich auch ein Grund, weshalb sich weder Fanzines noch Kulturmagazine im Underground und in Deutschland durchsetzen konnten. Die wenigen, die erhalten geblieben sind und gekämpft haben, sind anachronistische Reste einer längst vergessenen Zeit.
Versetzen Sie sich einmal zurück in das Jahr 1984! Der Film „Zeit der Zärtlichkeiten“ bekam 11 Oscars, Bands wie „Whaml!“, „Alphaville“ und „Raf“ waren in den Jahrescharts, Nena erhielt den Bravo-Otto, die Hungersnot in Äthiopien und die Kießling-Affäre bestimmten die Nachrichten, die Russen boykottierten die Olympiade in Los Angeles und das freitägliche Fernseh-Topprogramm war „Heute Abend“, eine Talkshow mit Hans-Joachim Fuchsberger, zu dem wir später noch einmal kommen. In irgendeinem Bürogebäude in Frankfurt saßen zwei Jugendliche, die Zugang zu einem Apple Macintosh Computer hatten, die damals die beste Variante des Desktoppublishings war. Sympathie hatte auch ein Schuldirektor, der den beiden Jugendlichen erlaubte, die erste SPIRIT-Ausgabe auf dem hauseigenen Druck- und Kopiersystem zu vervielfältigen.
Eine längst vergessene Zeit vor der Internetrevolution und der Auflösung der alten Grenzen zwischen Underground und Mainstream. Fanzines verstanden sich damals als Informationsträger ihrer Szene.
Aber der SPIRIT zeigte bereits in den ersten vier Ausgaben Themenvielfalt, anstatt sich in die Tiefen des Undergrounds zurückzuziehen. Dankbar wurden die ersten vier Ausgaben gekauft, die Interviews mit den Bands Fehlfarben, Family Five und Die Ärzte, aber auch Filmrezessionen oder eine Plattenbesprechung der englischen Punkrock Oi! Band „The Good, The Bad & The 4-Skins beinhalteten.
„Es war ja wirklich unglaublich!“ schildert Hairapetian. „Aus einer Laune heraus bin ich mit 5 Exemplaren der „Ärzte-Ausgabe“ zu einem Bahnhofskiosk im Frankfurter Hauptbahnhof gegangen und durfte sie dort lassen. Wenige Stunden später rief der Kioskbesitzer bei meiner Mutter an und sagte, dass er weitere Exemplare haben möchte. Also brachte ich ihm die 30 Hefte, die sich dann auch in wenigen Stunden verkauften.“
Wahrscheinlich wurde der SPIRIT schon damals als Fachblatt wahrgenommen. Denn neben dem MusikExpress und der Bravo dürften nicht allzu viele Zeitschriften im Regal gelegen haben, die sich mit Popmusik beschäftigten. Fanzines und Magazine wie der SPIRIT hatten damals natürlich noch ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal: Die radikale Subjektivität. Mindestverkaufszahlen und Anzeigenkunden diktierten nicht die Themen, sondern die eigenen Ansichten und das Interesse des Herausgebers waren entscheidend. Trotz oder wegen dieses Attributs konnten sich die damaligen Zines bis heute mit ihren Themen nicht durchsetzen. Viele beschreiten den wesentlich austauschbareren Online-Weg.
Inhaltlich wird heutzutage wie damals auch die Idee des Do-It-Yourself Gedankens in Frage gestellt. Einerseits wird bezeugt, dass man sich das Glück selbst schaffen kann, andererseits wird dieses Glück aber auch als Teil einer herrschenden Ideologie kritisiert. So wird in unserer Gesellschaft und auch in der privaten Umgebung des SPIRITS gerne von der eigenen Selbstermächtigung gesprochen. Aber, um beim Beispiel des SPIRITS zu bleiben, ist dies das gute Recht des „Machers“ gewesen, denn schliesslich ist sein Lohn die Bestätigung seiner eigenen Ideologie gewesen.
Einen kommerziellen Gedanken kann man sich nicht vorstellen, ein wenig Eitelkeit schon!
DISCOVERING MARC HAIRAPETIANS WORLD
Ein Lächeln im Sturm
Ich habe Marc im September 1988 im Backstagebereich des hannoverschen Musiktheaters BAD das erste Mal getroffen. Eigentlich unmöglich, dass dieser junge, aufstrebende SPIRIT-Typ mich je wieder ernst nehmen sollte. Denn ich führte mit einer anderen hannoverschen Legende zusammen ein Interview mit der Cow-Punk-Band The Waltons. Wir waren jung und die ein oder andere Frage stellt man einfach nicht! Vergessen wir das! Zwischen den Bandmitgliedern saß Hairapetian, der uns nur mitleidig ansah und sich vielleicht selbst an sein erstes Interview erinnerte. Viele hatte er bereits geführt.
Einige Tage später traf ich Marc wieder. Und zwar in der Küche meines Freundes Toni Fontanella, der auch Schlagzeuger der hannoverschen Bandlegende Storemage war. Während dieses zweiten Treffens ist der Satz „…der ist kacken!“ in unserem gemeinsamen Duktus zur Legende geworden. Dies war die Antwort von Toni’s Mitbewohner auf Marcs Frage, wo Toni denn sei! Noch heute zitiert Marc gerne diesen für seinen sonst sehr gewählten Sprachgebrauch prekären Satz, berichtet aber auch, dass Storemage sehr, sehr korrekt waren und Ihre Anzeige bereits vor der Veröffentlichung bezahlten.
Um so ein Magazin damals finanzieren zu können, war es dem jungen Reporter nicht gegönnt, nur umsonst zu Konzerten zu gehen und in den Verteilern einiger Plattenlabel zu sein, sondern er musste auch seine Anzeigenkunden selbst akquirieren und abkassieren. „Manchmal habe ich vom Drucker nur zehn angedruckte Ausgaben erhalten, um diese den Anzeigenkunden zu zeigen. Nachdem ich das Geld dann zusammen hatte, konnte der Druck der restlichen Auflage starten“. Und ein schlechter Verkäufer scheint unser junger Reporter nicht zu sein, denn in den älteren Ausgaben findet man sogar ganzseitige Anzeigen der Deutschen Bahn und der Sparkasse.
Nach dem zweiten Treffen in Toni’s WG-Küche scheint es zwischen uns gefunkt zu haben. Schnell stellten wir gemeinsame Interessen fest, die über die Musik hinausgingen und sich in der Filmkunst manifestierten. Das alles gehört zusammen, ist aber nur eine von vielen Geschichten, wie sich „Leidenschaft“ und das Interesse an Pop- und Filmkultur in einer Freundschaft der 1980er ansiedelte. Es soll ein Beispiel dafür sein, wie es bei vielen anderen auch war! Leitwölfe und die, die immer alles zuerst hatten, gab es viele und gibt es immer noch. Die, die Musik und Film als „wichtig“ und „unwichtig“ einteilten. Die, die Diedrichsen predigten und andere mit Verachtung straften, weil sie gerade Velvet Underground entdeckt hatten, man selbst aber noch The Police hörte.
Der SPIRIT hat von Anfang an ein Erleben von all’ den Dingen im allgemeinen Sinne dargestellt. Man muss verstehen, dass Popmusik und Filme damals wie heute einen zentralen Anhaltspunkt unseres Lebens darstellen, mit starker Identifikation und dem Anspruch an existentielle Wahrheit.
Bei einigen ist das so geblieben, bei anderen nicht! Familie, Geld und Karriere haben Überhand genommen. Welten stehen sich auf einmal gegenüber, die trotzdem nahe bei einander liegen. Die Perspektive aber ändert sich und unüberbrückbare Differenzen treten ein. Marc hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Heutzutage ist er Journalist und schreibt über das, womit er sich identifiziert. Wir anderen können „nur“ als Hobby einen blog anbieten, um unsere Leidenschaft zu dokumentieren. Der Rest findet häufig einsam in den Kellern und Musikzimmern dieses Landes statt. Dies ist schwerer zu verstehen als es hier steht, da es sich ganz und gar um Grundsätzliches handelt. Und fürwahr bewundere ich den Willen und Mut, dass der SPIRIT diese Schaufensterscheibe nicht nur von außen betrachtet hat, sondern sich selbst eine Art Bühne geschaffen hat.
Um es auf die empathische Ebene des SPIRITS zu übertragen, muss man Marc zugestehen, dass Film und Musik eben nicht nur eine Facette seines Lebens ist, sondern sein Leben selbst beschreibt. Wir anderen müssen weiterhin fragen, wie weit die eigene Empathie reicht.
Alan Lomax
Lesen Sie den zweiten Teil, in den kommenden Tagen auf dieser Seite....
verband der deutschen filmkritik e.V.
Marc Hairapetian ist der SPIRIT. Geboren wie Francois Truffaut am 6. Februar - allerdings 1968 in Frankfurt am Main. Seit 1984 Herausgeber des von ihm begründeten Film-, Theater-, Musik-, Literatur